One of these days...

von Markus 

Das sind sie, diese Tage, die nicht so schnell vergessen gehen. 

Der Wetterbericht sagt für die ganze Woche schönes Wetter voraus. Bereits am Dienstag vereinbaren Chris und ich, dass wir am Samstag zusammen klettern gehen werden. Die Sonne scheint die ganze Woche von einem wolkenlosen Himmel, aber nur bis Freitagnachmittag. Dann ziehen die Wolken auf. Das ist ja noch nicht weiter schlimm. Am Samstagmorgen kommt für alle die grosse Bescherung. Regen fällt auf den gefrorenen Boden und vereist sofort. Blitzeis entsteht. Zudem hängen dicke fette dunkelgraue Regenwolken am Himmel. Zu früh gefreut, denke ich mir und bin sehr enttäuscht. Als Alternativprogramm gehen wir zusammen ins B2 um unsere Muskeln zu stählen. Wir vereinbaren nur ganz wenig zu trainieren, damit wir am Sonntag fit sind. Es gibt eine fantastische Session mit ganz viel Spass, interessanten Diskussionen über Gott und die Welt und unbeschwertem Rumhängen an Boulders und an der Reckstange. Nach 2 Stunden verlassen wir das Capitol of Power und wissen, Sonntag wird ein guter Tag. So zumindest war einmal mehr der Plan.

Wir treffen uns um 10:30 wieder auf P Angenstein. Wir spüren das Training vom Tag zuvor. Es war also doch zu viel und auch die Rechnung haben wir ohne Petrus gemacht. Alles ist nass. Die Strasse ist nass, der Wald ist nass, es hängt ganz viel Feuchtigkeit in der Luft. Das sind jetzt nicht gerade die idealen Voraussetzungen für einen gelungenen Klettertag. Sorgenfalten zieren unsere Gesichter. Beim Umladen des Gepäcks in meinen Wagen erschrecke ich fast zu Tode. Was ist passiert? Ich habe mein Seil zu Hause vergessen! So ein Mist, so ein elender Mist, ärgere ich mich. Wir überlegen hin und her was wir tun sollen und übermütig wie ich bin, sage ich: „Das ist kein Problem. Das wird schon irgendwie gehen.“ Unser Ziel ist klar: Gorges du Court. Chris hat dort wieder so ein Megaprojekt und ich klettere einfach gerne dort. Nach rund 50 Minuten Fahrt parkieren wir das Auto, steigen aus und klappern innerhalb von Sekunden mit den Zähnen. Jesses nei, ist das eine Saukälte. Der Wind pfeift uns um die Ohren. Wir ziehen alles an Kleider an, was wir mit dabei haben und tigern hoch an den Fels. Der Vorteil der Kälte der letzten Tage ist der, dass der Schotterweg wunderbar gefroren ist. Das erleichtert das Höhersteigen enorm, aber ich ahne Schlimmes für den Abstieg. Wir gehen in einen mir bekannten Sektor, aber ich habe dort noch keine Route geklettert. Als wir so beim Fels stehen realisieren wir, wie warm es doch ist. Schnell sind die dicken Kleider abgelegt und wir geniessen die wärmenden Sonnenstrahlen. Es ist der absolute Wahnsinn. Keine Feuchtigkeit in der Luft, Sonne pur, total trockener Fels, wolkenloser Himmel – was begehrt des Kletterers Herz mehr? Klettern im T-Shirt ist heute angesagt. Das ist einfach wahnsinnig toll, super, schlicht genial. Chris zeigt mir die Routen und kennt natürlich auch die Schwierigkeitsgrade. Ich entscheide mich spontan für eine 6a+ und Chris sagt schlicht nein und zeigt mir eine ganz imposante Linie. 

Gorges du Court - oberer Sektor
Space Flake heisst diese faszinierende Linie und die Flake ist wirklich spacey. Werde ich da je hochkommen? Grosse Zweifel. Das gleiche Spiel wie immer beginnt. Nach wenigen Minuten hängen meine Express in der Route und ich kann meinen ersten Top-Rope Umgang durchkämpfen. Gott sei Dank hängen die Express schon und so kann ich mich an der einen oder anderen schweren Stelle genüsslich über diese hochziehen. Aber dann kommt ein ganz schwerer Moment für mich. Wir wechseln zu Chris Projekt und dafür braucht er sein Seil. Nun ist nichts mehr mit Top-Rope für mich. Ui, ui, ui. Das wird ja noch eine ganz spannende Sache! 

Chris klettert einmal mehr in einer ungemein schwierigen Route mit für mich nicht nachvollziehbaren Zügen. Er bereitet die Route für einen Durchstieg vor. Wie er die Schlüsselstelle klettert, bleibt für mich ein Rätsel. Da hat es einen sichtbaren Griff für die rechte Hand und einen Foothook für das rechte Bein und dann ist Schluss und trotzdem kommt er über die Stelle. Phänomenal. Das ist Klettern der Extraklasse und ist auch ungeheuer intensiv für mich als Sicherer. 

Wir wechseln wieder zurück zu Space Flake. Es wird mir bewusst, dass ich meinem Top-Rope-Hobby dieses Mal nicht frönen kann. Ich weiss nicht wie lange es her ist, seit ich meinen letzten Routen-Boulder-Durchgang hingelegt habe. Es müssen wohl Jahre sein. Nun, es bleibt mir nicht anderes übrig, als mich am scharfen Ende des Seiles durch die Route zu kämpfen. Express 1 und 2 stellen kein Problem dar. Bei Express 3 habe ich dann zum ersten Mal Angst und mache Fehler um Fehler. Das ärgert mich ungemein. Trotzdem kämpfe ich mich weiter nach oben bis zur Schlüsselstelle. Das ist aber eine luftige Sache hier oben, muss ich feststellen. Der Bolt ist etwas gar weit weg und wenn ich den guten Griff nicht erwische, dann tut es anschliessend fürchterlich weh. Uuuuuuhhhh! Mit ganz viel Krampf und noch mehr Kampf schaffe ich es dann doch noch, eine Lösung für die Stelle zu finden. Die letzten Meter bis zum Umlenker sind relativ einfach. Nach ein paar wenigen Sekunden stehe ich wieder neben Chris und ich ärgere mich intensiv, dass ich Trottel mein Seil zu Hause vergessen habe. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich unbedingt noch 2 Top-Rope-Durchgänge abhalten müsste um diese Route klettern zu können. 

Szenenwechsel. Chris steigt in sein Projekt ein und kommt gut voran. Ein schwerer Zug reiht sich nahtlos an den nächsten schweren Zug, die Performance stimmt, alles bestens. Jetzt kommt die Schlüsselstelle. Chris hängt ganz komisch in der Wand, gibt Gas und – zack – ich spüre Zug am GriGri. Schade. 

Gorges du Court - oberer Sektor
Wieder Szenenwechsel. Kein Top-Rope in der Space Flake, was muss ich also wieder tun? Genau, ein Routenboulder steht an. Aber dazu habe ich keine rechte Lust und ich denke: "Versuche es doch einfach einmal. Gib alles und vielleicht klappt es ja auch. Wäre doch noch ein brillanter Abschluss von 2013." Die Route liegt jetzt auch im Schatten und ich kann die Griffe und Tritte viel besser sehen. Die Bedingungen könnten nicht besser sein, allerbestes Kletterwetter und das mitten im Dezember. Sensationell! 
 
So stehe ich da in meiner Kampfmontur mit viel zu weiten Trainerhosen und im T-Shirt, meinen heiss geliebten Five Ten blanco, schaue nach oben und kann mich plötzlich extrem gut konzentrieren. Nichts lenkt mich ab. Express 1 und 2 gehen wieder wunderbar einfach. Express 3 – weshalb hatte ich vorher Probleme? Geht doch ganz einfach! Weiter zu Express 4, den ich besser den je anklettere. Mein Körper funktioniert perfekt, nichts schmerzt mich. Wenn ich Kraft brauche, dann ist sie sofort da. Die Performance ist auch gut, ich renne sprichwörtlich die Route hoch bis zur Schlüsselstelle und realisiere erst jetzt, wie gut ich unterwegs bin. Das wird heute noch was, ich weiss das. Die Rastposition ist nicht ganz so ideal, trotzdem kann ich mich gut ausruhen. Ich weiss, dass ich nun alles geben muss, damit ich die Schlüsselstelle klettern kann. Noch einmal konzentriere ich mich und klettere bis zur Ausgangslage unmittelbar vor der schweren Stelle. Mit der linken Hand greife ich an einen grossen und richtig guten Griff. Nun fängt die Bastelei mit den Füssen an. Die einstudierte Lösung wird nicht zum Erfolg führen, merke ich sofort. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als umzustellen. Ich brauche relativ lange dafür, der linke Unterarm ist schon arg gepumpt. Endlich passt alles zusammen und dann springe ich an einen grossen Griffen, den ich gut erreiche. Der ganze Körper schwingt jetzt natürlich nach und so hänge ich fast wie Stefan Glowacz auf seinem berühmten Bild an einer Hand mich haltend in der Luft. Ein Supergefühl! Schnell greife ich mit der linken Hand nach, kontrolliere die Situation und klettere sicher über die Schlüsselstelle. Yes! Das war's. Der Rest der Route geht im Rausch der Endorphine unter. Sensationell. 

Nach dem Einsammeln der Express sitzen wir noch kurz in der langsam untergehenden Sonne und geniessen deren letzte Strahlen. Wir wechseln wieder zu Chris Projekt. Dieses Mal funktioniert alles fehlerfrei. 

Das war wieder einer dieser Tage, an dem man mit flauen Gefühl und ohne Erwartungshaltung an den Fels geht und es sich dann als der perfekte Tag herausstellt. Einfach etwas Mut haben, an den Fels gehen und versuchen. Den Verstand ausschalten und dem Herz gehorchen und schon geht manches besser. 

Wenn mir Mitte Jahr jemand gesagt hätte, dass ich Ende Jahr wieder eine 6b an einem Tag klettere, dem hätte ich schlicht nicht geglaubt. Ich fand im Frühjahr nicht zu meinem Rhythmus, auch hat sich das Fernbleiben von einem regelmässigen Training nicht optimal auf die Performance ausgewirkt. Alles ging ganz langsam aber sicher den Bach runter und das Klettern interessierte mich nicht mehr sonderlich. Es war der Weckruf im Frankenjura, intensive Diskussionen über Sinn und Unsinn des Kletterns und die unglaublich wertvollen, motivierenden und überaus lustigen Trips mit Chris in die Gorges du Court, welche mich wieder hungrig auf mehr gemacht haben. Es macht wieder unendlich viel Spass im B2 hart zu trainieren und fit zu werden. Deshalb freue ich mich sehr auf das kommende Jahr und es geistern wieder viele, wohl wieder viel zu viele Projekte in meinem Hirn herum.

An dieser Stelle möchte ich mich bei all meinen Mitstreitern und Mitkämpfern für ihre wertvolle Unterstützung bedanken. Ohne euch wäre es mir nicht möglich gewesen, 2013 so positiv abschliessen zu können. Danke.
Allen Blog-Leserinnen und Blog-Lesern wünsche ich frohe Festtage und einen guten Start ins 2014!

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