Flatanger – 2013… erster Trip

von Chris

Vorsichtig blinzle ich gegen das Sonnenlicht…
Seit Stunden scheint die Sonne knapp über dem gekrümmten Horizont des Atlantiks zu verharren…
Die unglaubliche Weite des Meeres und Himmels…
In der Ferne dramatische Wolkenbänder, die sich in viele Ebenen zu teilen scheinen, um doch wieder ineinander zu verschmelzen…
Graue Schleier vor anthrazitfarbenen Wolken lassen Regen erahnen…
Die Trübe vor der Sonne verfärbt das Licht orange und taucht den Granitriegel hinter mir in eine warme Farbenpracht…
Ein See- oder Steinadler zieht lautlos seine Kreise über dem Berg, der in seiner Form einem umgestürzten Pudding gleicht…
Totenstille scheint mich zu umgeben…
Eine Brise kündigt sich an, erst fein…
Die Blätter der kleinen Birken rascheln, zunehmend heftig…
Und plötzlich fallen Tropfen, anfänglich einzeln spürbar, dann kräftig…
Wie nur konnte der Regen so schnell hergetragen werden…?
Kaum breitet sich das Nass auf den Steinen des Geröllfeldes aus, verdampft das Wasser schon unter dem im Nu wieder blau gewordenen Himmel…
Karabiner klimpern…
Das Seil läuft beim Ausgeben zwischen den Fingern…
Ich bin in Flatanger.
Moody...




 

































Die Grotte mit dem kristallinen Granit der Hanshallaren wirkt anziehend wie ein Sog… In erhabener Grösse, doch nicht erdrückend. Mit ihren Farben, Maserungen und Strukturen für Kletterer faszinierend, geradezu einladend, verheissen diese doch gute Moves.

Weit gleitet der Blick über die Flatanger-Fjorde hinweg bis auf das Meer. Die Welt scheint intakt zu sein. Nordische Hirsche, die wir als Elche bezeichnen (es handelt sich - auf Englisch - auch nicht um "Elks", sondern um "Mosses", welche jeder Norweger zwei Tiere pro Jahr für seine Tiefkühltruhe erlegen und verarbeiten darf…), laufen auf den grünen Wiesen vorbei. Mit etwas Glück gibt es auch Robben zu sehen.

Crazy Lichtstimmungen...
Die Menschen hier sind unglaublich aufgeschlossen, grosszügig und freundlich. Nicht nur einmal habe ich es erlebt, dass aus einer belanglos scheinenden Begegnung ein langes und interessantes Schwätzchen entstanden ist. Man merkt, dass die auf ein riesiges Land verteilten nur fünf Millionen Norweger den Zusammenhalt suchen und Sozialkompetenz daher gross geschrieben wird. Ein wunderbares Land mit wunderbaren Leuten in einem unvergleichlichen Wohlfahrtsstaat. Mangel scheint nicht zu herrschen. Das ist der erste Eindruck. Vielleicht reichen die 24 Stunden Sonnenlicht im Sommer aber doch nicht aus, um die langen Winternächte seelisch zu kompensieren: harten Alkohol gibt es nur noch in staatlichen Abgabestellen zu horrenden Preisen. Von Flatanger muss man dafür ins 65 km entfernte Namsos fahren. Alkohol darf nicht mehr unter 25-jährige abgegeben werden und sonntags gilt ein generelles Verkaufsverbot.

Adam in 'Move'...
 In diesem riesigen Land mit seinen neuerdings vielen Klettermöglichkeiten nur an einen einzigen Ort zu gehen, erscheint einseitig. Flatanger ist es aber wert. Schon bei der erstmaligen Ankunft in Strøm – dem "Basecamp" mit Zeltplatz und Wohnhaus – versetzt der Anblick des weiten Tal mit der langgezogenen und hohen Fluh wohl jeden in Staunen. Die Hanshallaren-Grotte – von Strøm aus nicht direkt einsehbar – erreicht man in 15 bis 20 Minuten zu Fuss durch eine felsdurchsetzte Vegetation, die sich auf 2000 m im Aaregebiet oder Grimsel befinden könnte.

Luis beim FA von 'Gusanito' 8a
Als ich im Juli 2013 mit Martina das erste Mal die Reise nach Flatanger antrat, wussten wir zuerst gar nicht, was uns dort erwarten würde. Auch nicht, dass man in Strøm übernachten konnte. So hatten wir bei Thor in Rorbuer eine Wohnung gemietet, die sonst ausschliesslich von Fischern gemietet werden, die zumeist aus Deutschland und England anreisen. Flatanger ist unter Meerfischern weltweit bekannt. Grosszügig bekamen wir von den Fischern immer wieder am Tag gefangenen Fisch geschenkt… frischer geht es nicht!

In der Grotte angekommen, war ich schier sprachlos… zum einen von dem was ich sah, zum anderen auch wegen der Erkenntnis, wie viel Neutourenpotenzial es noch hatte. Schönste Wände ohne einen einzigen eingerichteten Climb – unfassbar! Die bereits vorhandenen Routen waren wunderbar zu klettern und es dauerte nicht lange, dass ich mir sicher war, mit dieses Gebiet eines meiner persönlichen Favoriten gefunden zu haben.

Zustieg...


Wir hatten eigentlich ein kühles Sommergebiet erwartet. Als ich mir damals die bereits vorhandenen Kletterfotos und –videos ansah, waren darauf Leute in Daunenjacken zu sehen. Das versprach trotz Hochsommermonaten Grip und keine verschwitzten Klamotten! Doch die Realität zeigte einmal mehr, dass Kälteempfinden subjektiv ist. Zudem kann das Wetter in Norwegen ganz schön wechselhaft sein. Auf jeden Fall hatten wir im Juli/August eine Hitzewelle zu überstehen. Nach unserer Abreise in der ersten Augustwoche müssen allerdings wochenlang Killerbedingungen um 12°C geherrscht haben, nämlich dann, als Adam 'Move' durchsteigen konnte. Die 'leichteren' Climbs liegen naturgemäss am Rand der Grotte und sind auf deren linker Seite südwestseitig exponiert. Das hiess früh aufstehen. Denn bis Mittag waren die Temperaturen zwar sehr gut, der Klettertag allerdings kurz. Da es im Hochsommer fast den ganzen Tag strahlend hell ist, gingen Martina und ich eben abends nach dem Nachtessen noch einmal rauf, nachdem der Schatten wieder in die Wand gekommen nwar. Für mich gehört es zu den besonderen Erlebnissen, gegen Mitternacht einen 8a-Durchstieg in goldenem Licht der nicht untergehenden Sonne zu versuchen.

Tina im Klassiker 'Kakestykket'
 Und noch etwas: wie immer hört man aus den Medien nur von den schweren Climbs. Dass sich der überwiegende Teil der Routen in Tat und Wahrheit unter 7a bewegt, ist kaum bekannt. Vor allem unten in Strøm gibt es mit dem Einvikfjellet und dem Sandmælen einen Felsriegel mit je circa 30 Routen bis maximal 6b+.

Auf jeden Fall habe ich den aussergewöhnlich schönen Climbs in Flatanger nach meiner langen Pause eine wiedererwachte Motivation und Lust auf schweres Klettern zu verdanken. Es gelangen uns schöne Climbs. Manche schienen mir in ihrem Niveau mit zum Besten zu gehören, wie z.B. 'Påltergeist' 7c+ oder 'Eventyrblanding' 7c. Auch tastete ich mich mit der fantastischen 'Berntsenbanden extension' erst an 8a und mit den beiden Längen von 'Steiny' wieder an 8a+ heran. Zum Schluss konnte ich noch Dank den zur Verfügung gestellten Bolts des vorbildlich organisierten Norge Boltefond und Adam's Hilti mit 'Espen Askeladd søker lykken' eine traumhafte 7a+-Kante, welche zu einem Klassiker avanciert ist, und mit 'Arven etter hulemannen' 8a eine boulderlastige Dachroute mit abgefahrenen Moves erstbegehen…

Kommentare