Flatanger 2014 - Nordische Felsblumen

von Chris

Für mich war es klar, dass ich wieder kommen musste…
Die Linien, die ich in der Grotte gesehen hatte, sind atemberaubend…
Schön, ästhetisch, mit unglaublichen Features…
Granit, vom rauen nordischen Meeresklima zu kunstvollen Naturereignissen geschnitzt…
Als Kletterer ein Muss…

Im Einstiegsboulder (pic: Joe. Merci!)
So wurden diese Climbs nur schon vom Anschauen zum Wunsch. Mindestens einen davon musste ich versuchen. Einer der grossen Klassiker in Flatanger ist 'Nordic Flower'. Von Laurent Laporte eingebohrt, wurde sie auf einer Gesamtlänge von 60 m im September 2011 durch Joerg Verhoven als 9a zum ersten Mal durchstiegen. Nach Adam Ondra's on sight im Jahr 2012 und nach weiteren Wiederholungen als 8c/c+ gehandelt. So war 'Nordic…' der erste Flatanger Climb, der durch die Medien bekannt wurde. Schön für die Jungs, habe ich mir dabei immer gedacht. Für mich wohl eher ein Nole me tangere…

Nach dem Boulder in die Ausdauer (pic: Joe. Merci!)
Die Linie, so lang wie ein durchschnittliches Kletterseil, durchzieht diese noch immer lediglich die Hälfte der ausladenden Fläche des Daches und bewegt sich ungefähr acht bis zwölf Meter über dem ansteigenden Boden. Klettert jemand in der Route, ist man als Zuschauer ganz nah dabei. Was ich erst vor Ort lernte war, dass durch den kühnen Zick-Zack-Verlauf der Route um zwei 90°-Winkel, freundlicherweise auch an Jurasaurier gedacht und ein Zwischenstand eingerichtet wurde, der es erlaubt, die ersten 40 m, d.h. bis zum zweiten Eck, als 8b+ isoliert zu klettern. Nota bene – es handelt sich damit um den leichtesten Climb durch das Dach… Wollte ich mich diesem kletternd annähern, dann also nur über dieses gekappte Teilstück…

Untergriffschuppen... (pic: Joe. Merci!)
Eine Vorstellung von den Anforderungen bekam ich durch die Versuche von Christoph im Jahr zuvor. Nich sonderlich überraschend sah das Ganze recht anstrengend aus. Eine Hypothek schienen mir die reichlich kleinen Leisten im Startboulder (V8) zu sein. Bei einer Steilheit von 60° ein besonderer Challenge, ist doch Fingerkraft auf Leisten im steilen Gelände eine meiner Schwächen…

Wie dem auch sei – voller Mut (…voller Hochmut?) setzte ich mir diesen Climb als Jahresziel (…um ehrlich zu sein, hatte ich noch ein ganz anderes Jahresziel, dass ich mir aber selber als "geheim" einredete. Doch davon im nächsten Blog…). Drei Wochen meiner Ferien für Ende August/Anfang September waren der ganze Einsatz… Würde es reichen? Ich wollte es zumindest versucht haben. Ist ja auch langweilig, sich immer zu sagen: "…kann ich ja eh nicht…". So klappt es natürlich nie. Auf! Veni, vidi, und nicht traurig sein, wenn nicht vici… Der Weg ist das Ziel und so bla, bla…

Andy und Uli...
Tina auf dem Top des Hanshallaren...
Gute, motivierende Partner sollten auch dabei sein. Leider wollte OJD lieber noch einmal eine Ehrenrunde trainieren, obwohl er bei der Routenwahl in Flatanger seine helle Freude hätte (nächstes Mal, gell?...). Zu meiner grossen Freude waren schliesslich Andy und Uli mit von der Partie. Das versprach hochkonzentriertes Rupfen. Andy brauchte ohnehin ein ansprechendes Ziel, nachdem er sich aus einem Plafond herausgeklettert hatte. Somit war er als Zugpferd am Fels, Low-Carb-Ernährungsberater und Mentalcoach gesetzt. Uli, gleich alt und gleich lang kletternd wie ich und somit ähnlich ver- und besessen vom Klettern, verstärkte uns mit seinen Vibes. Mein Seelenheil legte ich Martina in die Hände, die uns nach den ersten zehn Tagen folgte.

Moody....
Für mich war es wie ein Heimkommen, als ich in Strøm eintraf. Der Wohlfühlfaktor an diesem Ort ist einfach einmalig. Im Haus selbst hat sich viel geändert. Berit und Olav bewohnen ein neues Haus direkt am Fjord (Wow!) und bauten das alte Gebäude um. Nun mit zwei Küchen und zwei Stuben ausgestattet, verteilt sich die Dynamik, die durch mehrere Leute in einem Haus nun mal entsteht, schon viel besser. Team America um Joe, Cameron und Elliott traf ein, Australier, nicht sichtbare Spanier… ganz schön international. Auf dem Camping einige Deutsche und wie aus der Versenkung auch Christoph, später auch Matthi und Stefan und und und... Anzumerken, dass wir dasjenige Grüppchen bildeten, dass sich mit drei Wochen den kürzesten Aufenthalt vorgenommen hatte … (woher haben die Anderen immer so viel Zeit?...)

Evening light in der Grotte...
Natürlich stürzte ich mich gleich in 'Nordic Flower L1', warum auch nicht? Mit was sonst Anderem sollte ich mich für das grosse Vorhaben eingewöhnen? Leider entwickelte sich das Projekt nicht zum Selbstläufer. Der Einstiegsboulder und die kleinen Leisten darin zeigten mir ganz schnell meine Grenzen auf. Und dann realisierte ich, dass ich nicht einfach von Job auf Limit-Klettern umstellen konnte. Vieles war im Vorfeld der Reise in der Arbeit noch vorzubereiten und Projekte abzuschliessen, so dass ich mir die drei Wochen Auszeit überhaupt genehmigen konnte… immer dieses Ringen um Output!
Mit Olav und Berit auf Boattrip...
Wohl spürte ich auch einiges vom selbst gesetzten Druck, in der Route innerhalb der begrenzten Zeit auch Vorwärts zu machen. Dann waren da noch Zweifel an der Form, weil ich nicht genau wusste, wo ich nach der Trizepsverletzung überhaupt stand. Natürlich war es wunderbar, dass die vollständige Ausheilung genau beim Antritt der Reise eintrat. Doch war die Erfahrung damit noch frisch und schwang daher die Angst mit, eine unbedachte Bewegung könnte die Verletzung womöglich wieder aufreissen lassen. Ganz unabhängig davon, ob diese Furcht nun begründet ist oder nicht. Mit Bewunderung und etwas Neid sah ich Uli und Andy, die vor Tatendrang und Energie zu strotzen schienen und sich auch an den Ruhetagen ein aktives Abenteuerprogramm ausdachten… Mir war eher nach Beine hochlegen zumute… That's life!

Meine Rasttagsbeschäftigung: Landschaftspics schiessen...
Doch der Plan, mehrere Wochen Zeit zu haben, zahlte sich aus. In der zweiten Woche kehrten die Energien und Power zurück. Gerade rechtzeitig, war ich doch wegen der oben beschriebenen Leisten schon praktisch am Aufgeben. Das vorerst sinnlos erscheinende Suchen nach einer Lösung hatte wenigstens zum Resultat, dass sich die Finger und die Spannung im Körper an die Belastung gewöhnt hatten. Step by Step. Jedem ausgeboulderten Zug ging ein Fight für die beste Lösung voraus.
Und auch diese Hartnäckigkeit trug Früchte. Schliesslich war ich in der Lage, den Boulder in zwei Etappen zu klettern und von dort zwei Mal am selben Tag bis zu einer entscheidenden Stelle im letzten Drittel weiterzu- und im dritten Go des Tages sogar durchzusteigen. Die Tür war offen!
Vor allem, als ich wertvolle Beta von Joe erhielt, der mich darauf brachte – ja, auch ich lerne in zunehmenden Alter noch etwas – dass ein Knieklemmer nicht immer nur passiv sein muss, sondern auch aktiv durch Pressen des Knies an den Fels wertvoll sein kann. Vor allem mit einem Rubber-Knee-Pad, dass er mir grosszügig lieh. Thanks Joe!
Zeit zu haben, hat noch einen anderen sehr wertvollen Nebeneffekt – man darf sich mehr Ruhetage gönnen. In der zweiten Woche kletterte ich nur noch 1:1, d.h. ein Klettertag und danach ein Ruhetag. So stellte sich auch die Erholung vom Arbeitsstress ein.

Mein Seil kurz nach Durchstieg von 'Nordic Flower L1'
Dann kam der 27. August – ein Tag wie im Bilderbuch und der erste Tag mit Martina nach deren Ankunft. Ihre Präsenz ein Glück! Sie kam hinauf in die Grotte, spürbar ihre Freude ebenfalls wieder hier zu sein, diese unvergleichliche Landschaft zu sehen, die Meeresluft zu riechen. Zweifelsfrei, ihre Begeisterung hatte einen enorm positiven Einfluss auf mich. Die Bedingungen mit einem Wind ideal. Nur wenige Kletterer am Fels. Etwas Besonderes lag in der Luft. Eine nicht beschreibbare Leichtigkeit, die nun die anfänglichen Schwierigkeiten vergessen liess. Ich war frei, der Kopf frei… ich war bereit für 'Nordic Flower L1'. In völliger Klarheit konnte ich jeden Zug erleben und schliesslich die ganzen 40 m bis zum Stand der L1 ohne Pump klettern! Es war Wirklichkeit geworden, was ein entfernter Traum zu sein schien. Einer mehr, der sich dieses Jahr bereits erfüllt hat…

Said in 'Litt på kanten 8a'
Nun hatte ich mit Martina noch ganz komfortabel 10 weitere Tage. Dabei fiel mir erst auf, was für eine enorme Energie in unserer Gruppe herrschte. Es ist sicherlich der Klettertrip, während welchem jeder von uns am meisten Climbs in seinem Niveau klettern konnte. Darüber könnte man einen seperaten Blog schreiben – sprengt aber natürlich den Rahmen… Fantastisch, wie Andy einen 8b nach der anderen zog, allesamt Klassiker auf der linken Seite der Grotte; und schliesslich die komplette 'Nordic Flower'! Was für ein enormer Fight bei seinen Körpermassen im Einstiegsboulder. 

Sara in 'Syvsover 7b'
Uli, der die wunderbaren 40 m Linien von 'Berntsenbanden extension', 'Trip', 'Frigg' und auch 'Nagells Drömmedieder' ziehen konnte. Martina, die nicht nur noch offene Projekte vom letzten Jahr abschliessen konnte. Gemeinsam eröffneten wir auch 'Syvsover', eine sehr ausdauernde 7b, die am 6. Bolt von 'Tungt møblert' nach rechts abzweigt. Wieder durften wir uns grosszügig von den auf der Farm deponierten Bolts des Norges Boltefond bedienen. Ich hatte nämlich meine nagelneue Festool Bohrmaschine mitgenommen, die nur sagenhafte 2,4 kg mit Akku wiegt. Kleiner Tipp am Rande: so ein 4.1-Ampere-Akku muss bei der Fluggesellschaft angemeldet werden, will man nicht bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen als allfälliger Bombenleger verdächtigt und festgenommen werden…

Matthi in 'Eventyr Extension 8a'
Weiter eröffnete ich von unten und quasi im Alleingang während eines patagonisch angehauchten Regensturms mit kurzen 6 mm Bolts und Cams selbstgesichert die langerwartete Extension zu 'Eventyrblanding', eine offensichtliche Wahnsinnslinie und ein 40 m-Traum im Grad 8a. Diese konnte ich am darauffolgenden Tag bereits punkten, weshalb ich auch die noch unberührte Wand links von 'Mindstalker' um eine 35 m-Diagonale mit boulderig tricky Leistenkletterei um ca. 7c+ bereicherte: 'Norsk Strikk'. Ferner die kurze 'Akvarell' rechts von 'Overflatekjemi'. Mit 6b+ tönt es nach Aufwärmroute. Aber leider sind die Züge am Anfang gleich die Bouldercrux… Schliesslich gelangen mir noch die Feng Shui-Moves in der unvergleichlichen 'Massih Attack ', ein von Eric Massih eröffneter 8b-Klassiker, der sich allerdings wie 8a anfühlte. Auch 'Trip 8a+', deren Erstbegehung mit Cams von unten und on sight durch Adam Ondra letztes Jahr ich live erleben konnte (wurde nachträglich von ihm eingebohrt) sowie die fotogene 8a-Kante der 'Litt kanten', eine Hangelparade, nur unterbrochen von einem deftigen Zwei-Zug-Boulder…

Fazit: Nie aufgeben! Träume wollen geträumt und ausgelebt werden… Geduld gehört dazu!
Ich darf weiterträumen – nächstes Jahr ein weiteres Projekt in Flatanger? Das wär's doch…

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