Hohgant - Wandern und Klettern

von Markus

Zunächst: wo liegt «Hohgant»? Ok, ich bin mir sicher, dass dies die meisten Blog-Leser (nicht) wissen. Die weltbekannte Route «Wespenpfeiler» liegt in diesem Gebiet. Gewusst?

Naturschutzgebiet Hohgant-Seefeld. Geklettert wird am Fels in der Bildmitte

Die Fakten:

Hohgant ist der höchste Emmentaler, bzw. die höchste Erhebung im Emmental. Die Emme erwacht beim Hohgant zu ihrem Leben. Der nächste Ort ist Habkern im Berner Oberland. Das Naturschutz-Gebiet heisst «Hohgant-Seefeld».

Als ich vor vielen Jahren den Kletterführer «Interlaken» kaufte, sah ich auf Anhieb diese tollen nicht so schwer bewerteten Routen als erstes Klettergebiet innerhalb des Kletterführers aufgeführt. Dorthin wollte ich unbedingt einmal klettern gehen, doch versank dieser Wunsch im Vergessen. Mein Freund Markus brachte die Idee wieder aufs Tablet und so entschieden wir uns, das super Herbstwetter für einen Gang an den Hohgant zu nutzen. Gemäss Abbildung im Kletterführer dauert der Anstieg vom «Älgäuli» bis zum Einstieg 20 Minuten, von P Schwarzenbach bis «Älgäuli» sind es 2 ½ Kilometer. Von Oberwil wird Habkern in etwas mehr als 2 Stunden erreicht. Zusammengezählt gibt das einen überschaubaren zeitlichen Rahmen des Hinkommens. Doch die Story geht etwas anders.

Phase 1: Fahren

Um 07:50 fahren wir mit dem Auto von Oberwil via Bern nach Habkern los, die üblichen Staus auf der A1 Richtung Bern nicht auslassend. In Habkern angekommen, fahren wir auf einer super asphaltierten Strasse Richtung Naturschutz-Gebiet weiter (das Militär lässt wohl grüssen), bis wir den Münzautomaten für die Taxe für die Benutzung der Strasse und den P Schwarzenbach sehen. Die Gebühr beträgt 14 Franken – in Münz. Gott sei Dank hat Markus an diesen kleinen aber feinen Unterschied gedacht. Ich wäre mit meinem Plastikgeld komplett aufgeschmissen gewesen. In einer solchen Situation stösst mir automatisch die Selbstbeweihräucherung der Schweiz bezüglich der Führerschaft in der Digitalisierung sauer auf. Es ist ja nicht so, dass Maestro- und Kredit-Karten eine Erfindung der Neuzeit wären. Die gibt es seit mehr 25 Jahren. Gut, dass Twint, Google Pay, Apple Pay und Samsung Pay noch nicht aufgeschalten sind, gut, das verstehe ich. Aber Münz? Nicht einmal Noten werden angenommen. Zahlmittel aus dem letzten Jahrhundert! Oder gilt: nur Bares ist Wahres? Who knows.

Von Habkern führt die asphaltierte Strasse 11 Kilometer weit direkt zum P Schwarzenbach, welcher tatsächlich mitten im wunderschönen Naturschutz-Gebiet liegt. Hier parkieren wir das Auto.

Phase 2: Wandern

Mit möglichst leichtem Rucksack tigern wir nun in 30 Minuten von P Schwarzenbach zum «Älgäuli», von wo aus der Einstieg in 20 Minuten zu erreichen sein soll. Wie wir bei der Alphütte stehen sind wir uns sehr sicher, dass 20 Minuten nie und nimmer reichen werden. Wir sollten recht behalten. Rund 1 Stunde später stehen wir endlich nach einem steilen Anstieg bei den Einstiegen. Insgesamt benötigen wir vom Parkplatz bis zum Einstieg 1 ½ Stunden.

Das sagenhaft schöne Alpenpanorama. Es gibt Leute, die fliegen um die Welt um dies zu sehen...

Phase 3: Klettern 

Nach etlichem Hin und Her entscheiden wir uns für die Route «Pyton». Es ist von Anfang an klar, dass ich den Vorstieg übernehmen werde. Doch beim Anblick der ersten beiden Bolts sinkt mir das Herz in die Hose. «Oh Jesses» denke ich mir, worauf habe ich mich da wieder eingelassen und versuche, mein Gesicht nicht zu besorgt aussehen zu lassen. Bald stehe ich in voller Montur da, am Klettergurt baumeln neben Express auch Friends und Keile. Der Fels sieht furchterregend brüchig aus. Von Richi lernte ich den Begriff «Concentré» und fokussiere mich auf den nächsten Tritt, auf den nächsten Griff. Was ich zunächst als «brüchig» analysiere, entpuppt sich jedoch als bombenfester und sehr rauer Fels. Doch zunächst gilt es, den ersten Bolt zu klippen. Das gelingt mir relativ gut und endlich fühle ich mich wirklich sicher. «Concentré» sage ich laut vor mich hin und so fokussiere ich mich wieder völlig aufs Klettern. Nach wenigen Metern kann ich einen Keil legen, wieder ein paar Meter weiter einen Friend perfekt platzieren. Jetzt stehe ich an der Schlüsselstelle der ersten Seillänge. Ich weiss, dass diese mit 5c bewertet ist, doch weiss ich nicht, was eine 5c in diesem Gebiet zählt. So analysiere ich während langer Zeit die nächsten Moves, die über eine schier endlose und spiegelglatte Platte zu gehen schienen. Doch das ist nie 5c, also muss es sicher einen weniger schwierigen Weg geben. Ich schärfe nochmals die Augen, sehe genauer hin, lerne den Fels lesen. Plötzlich sehe ich diesen grossen Griff und ein paar Sekunden später diesen entscheidenden Tritt. «Concentré», steige ein und nach wenigen Sekunden kann ich bereits den ersten Bolt der Schlüsselstelle klippen. Nochmals schaue ich genau hin und siehe da, die Route geht nicht über die glatte Platte, sondern zieht linkerhand in wunderschöner und toller Kletterei steil nach oben. Hei, diese Kletter-Meter sind Spass pur, der absolute Traum. Der Alptraum folgt jedoch sogleich, als ich den Standplatz sehe. Der ist schon etwas in die Jahre gekommen und ich bin sehr froh, dass ich noch einen Friend zur zusätzlichen Sicherung platzieren kann. Das verstehe ich einfach nicht. Da wird die Route saniert (2003) und der Standplatz gammelt einfach vor sich hin. Das ist wirklich sehr schade.

Das Klettergebiet mit dem markanten "Wespenpfeiler" auf der linken Bildseite

Die zweite Seillänge, ebenfalls eine 5c, hat es in sich. So etwas Tolles habe ich noch nie im Vorstieg geklettert. Der Fels – bombastisch. Die Absicherung – perfekt. Die Ausgesetztheit – grandios, senkrecht geht es entlang einem schwach ausgeprägten Pfeiler nach oben. Das ist eine Seillänge, die sollte vielleicht nach 500 Meter enden – schlichtweg genial. Das Training mit Richi an der Bielerwand zahlt sich in diesem Moment aus. Die Ausgesetztheit bin ich mir gewohnt, ich fühle mich wohl und zufrieden. Leider ist die Zeit ist schon weit fortgeschritten und wir möchten nicht in der Dämmerung quer über ein sehr steiles Grasband absteigen. Deshalb entscheiden wir uns, nach leider nur 2 Seillängen wieder abzuseilen. Safety first. 

Phase 4: Wandern

Nach diesem Abenteuer stärken wir uns mit Speis und Trank. Auch die wenigen Dohlen kommen bei uns vorbei um zu schauen, wer sich denn hierher verirrt hat und ob es auch etwas zu essen gäbe. Doch weder wir Menschen noch unser Futter interessiert sie gross und so ziehen sie Sekunden später wieder ihre wunderbaren Kreise hoch in den Lüften. Der Rückmarsch zum Auto dauert rund 1 Stunde 15 Minuten. Glücklich und zufrieden mit vielen Wander-Kilometer auf dem Zähler sitzen wir ins Auto und fahren gemütlich nach Habkern.

Das Klettergebiet aus anderer Perspektive mit dem imposanten "Wespenpfeiler"

Phase 5: Gemütlicher Teil

In Habkern besuchen wir das Rest. Alpenblick und essen eine «Aelplerrösti». Die Heimfahrt ab Habkern nach Oberwil dauert sagenhafte 1 Stunde 50 Minuten - schneller geht gar nicht. Kurz vor 21 Uhr sind wir zu Hause. Ein ereignisreicher und schöner Tag nimmt sein Ende.

Die Berner Eisriesen - im 2018 noch mit Eis. Wie sieht das Panorama wohl in 20 Jahren aus?

Kommentare

Patrik Müller hat gesagt…
Hoi Markus
Hohgant?! Ja da war ich auch schon mal, hatte glücklicherweise genug Münz für die Abzokkerkiste parat und traf dann auf ein "wundersames Klettergebiet". Im Führer mit tollen Fotos richtig gluschtig und dann vor Ort... Nicht einmal die Einstiege stimmen auf den Fotos... Ich hatte nach der Phyton noch die Himmelsleiter angehängt, doch dort streikte meine Partnerin nach der 2. SL! Die Felsqualität erreichte bis dort nämlich eine Quaität wo sich jeder Steinbruchbesitzer die Hände reiben würde, da er den Fels bloss etwas böse anschauen muss damit sich dieser ausflöst...Immerhin, die 3. Länge sah etwas besser aus aber die Nerven meiner Nachsteigerin waren verbraucht;-)
Wie heisst es in sochen Fällen in SAC Führern: "Ein landschaftlich wundervolles Gebiet mit interessanten Kletterrouten, dass bisher noch wenig Beachtung fand." Das heisst übersetzt für Sportkletterer: "Verschiebe dieses Ziel auf eine Zeit, weit nach der Pensionierung, damit du dann wandernd, von hinten auf den Berg steigen kannst um die Aussicht zu geniessen!"
Ich meinerseits werde gewiss in diesem Gebiet bis in ferner Zukunft niemandem den Vortritt am Einstieg einer der dortigen Routen strittig machen!
Mit liebem Gruss
Patrik Müller