The Wall - eine Platte, ein Mythos, eine Geschichte

von Chris

Ich denke, Jede/r die/der im Pelzli am Zwillingsturm vorbeigeht und hinter der Kante der ‘Metzerstrasse‘ in das Höfli blickt, kann sich dem faszinierenden Anblick der aalglatt erscheinenden Wand von ‘The Wall‘ nicht entziehen. ‘The Wall‘ ist ein einfacher und doch so treffender Name für dieses Stück Klettergeschichte im Basler Jura. Ein Mythos, der für eine Art der Kletterei steht, die sich heutzutage keiner besonderen Beliebtheit mehr erfreut: Nicht einmal senkrecht, technisch heikel, komplexe Trittkombinationen auf kleinen Leisten, glatt, schmierig und daher sehr bedingungsabhängig.


Einst eine A1-Leiter, versuchten sich Mitte der Achtziger Jahre Eric Talmadge und Wenzel Vodicka an der freien Begehung, scheiterten aber immer wieder. Wie leicht kann doch in dieser Wand der Fuss wegrutschen… Dann verbindet sich mit der ersten Begehung von ‘The Wall‘ noch eine schöne Geschichte:

Nach dem Outdoor-Wettkampf von Bardonecchia im Sommer 1986 trafen mit den heimkehrenden Wenzel und Philippe Steulet auf Einladung auch Antoine LeMenestrel und Fabrice Guillot im Basler Jura ein. Wenzel hatte den Franzosen von seinem Megaprojekt ‘Ravage‘ erzählt und vor allem Antoine neugierig gemacht. Gemeinsam setzten sie Versuch um Versuch in ‘Ravage‘ während jenem kühlen Juli 1986. Während Wenzel’s Bemühungen stagnierten, fand Antoine am 4. Bolt die heute übliche Variante mit der Leiste rechts und machte grosse Fortschritte. Das freundschaftliche Auschecken wurde zu einem Konkurrenzkampf um die Erstbegehung, dessen Druck Wenzel nicht gewachsen war. Fortan widmete er sich ‘The Wall‘ im Pelzli. Mit der Power aus dem Chuenisberg (Ja, auch Platten verlangen Athletik ab!) und kühlem Wind gelang ihm schliesslich die Erstbegehung von ‘The Wall‘ und damit der seinerzeit härtesten Plattenkletterei der Welt (nun ja, so hiess es eben einmal…). Glücklich über seinen Erfolg und gespannt darauf, was seine Freunde sagen würden, kehrte er nach Hause zurück, um dort die Basler Jura-Szene vorzufinden und aus dem Mund von Antoine zu erfahren, dass er selbigen Tages ‘Ravage‘ durchstiegen hatte. Da war sie dahin, die Freude von Wenzel…

Aber das Basler Jura stand plötzlich im Mittelpunkt der Kletterwelt: Als Klettergebiet beherbergte es damit nicht nur die härteste Plattenkletterei der Welt mit ‘The Wall‘, sondern auch noch gleich die härteste Route der Welt mit ’Ravage‘… Diese Geschichte hat mir Wenzel so erzählt.

Stoff für die Bildung von Mythen, für die Bücher, für den Kletterspirit…

‘The Wall‘ bewertete Wenzel – 1,92 m gross und nur 67 kg schwer - mit 8a+. Eric schaffte die Route nie. Es vergingen über fünf Jahre, ehe der Rheinfeldner Bernd Hilpert – 1,88 m gross und leicht – die zweite Begehung holte. Es war immer die Rede vom Grössenproblem, die Leiste auf der man zu stehen habe und dann müsse man mit der linken Hand eine Leiste angeln, die man voll aufstellen müsse. Ein beeindruckendes Bild von Eric in der Tour im SAC-Kletterführer von 1986 zeigt die Brachialvariante mit dem rechten Fuss irgendwo auf Hüfthöhe…

Anfang der Neunziger Jahre hängte ich mir zum Spass auch einmal ein Toprope ein – und baute gleich wieder ab. Hoffnungslos…

2000 sanierten Andres Lietha und Fred Nicole die Route und kletterten als 3. respektive 4. das Plattenproblem. Die Chromstahlplättli waren jedoch zweifelsohne ein optisches Problem und dazu sprengte das angezogene Plättchen am 2. Bolt ein Stück von der Oberfläche weg, so dass ein hässlicher, gelber Fleck die sonst wunderschöne grau, geschlossene Wand zierte… Das war aber nicht nur das optische Manko, sie waren auch falsch platziert… Doch dazu noch später.

Begehungen gab es selten. Alex Koch etwa, oder Andi Stadler. Jonas Jäggi kletterte sie im Toprope. Alle gross, aber doch keine Riesen wie Wenzel oder Bernd. Es gab also andere Varianten. Dennoch – für mich selbst hatte ich nicht das Gefühl, je über die nötige Fingerkraft und Koordination einer solchen Kletterei zu verfügen. Als dann noch Dave Graham 2002 im Basler Jura auftauchte und irgendetwas von „8b oder 8b+“ meinte, liess ich mich damals – Oh Juragott verzeih es mir – zu einem haltlosen Routenkommentar auf climbing.de hinreissen und faselte irgendwas von Aufwerten und so weiter… Alles vom Schreibtisch aus, ohne selbst die Route je richtig inspiziert zu haben. Nun ja…

Adam Ondra’s Rundumschlag im Basler Jura im September 2009 führte ihn auch zu ‘The Wall‘. Offenbar war er sehr beeindruckt, wie schmierig und glatt das Pelzli ist und bezeichnete die Route als hart. Wohl denn, wenn man wie er – Wesen von einem anderen Stern - sonst diesen Grad onsight klettert…


Der harte Winter 2010 führte mich wieder ins Pelzli. Ein Gebiet, um das ich Jahre, ja Jahrzehnte, lieber einen grossen Bogen gemacht habe. Zu glatt, zu technisch (Nein, ich bin kein Plattenkletterer!), zu undankbar und viel zu viele schlechte Erfahrungen mit überlasteten und aufgeschnittenen Fingern. Dank der Engelsgeduld vom Markus Dolensky beim Sichern in arktischer Kälte kam ich in den Genuss des ‘Totentanz der Fingerspitzen‘ und in logischer Konsequenz zu ‘The Wall‘. Danke Markus!

Skurril war es dennoch. Ich dachte, in der Route alleine zu sein. Beim Auschecken kam plötzlich Peter Goerttler um die Ecke. Auch er war an ‘The Wall‘, ebenso wie Stefan Schiller… Revival der Plattenkletterei und des Pelzli? Wohl kaum, wir drei spielen alle in der Kategorie 35+…! Peter und ich sind gar 42 Jahre alt. ‘The Wall‘ hat für uns mit seiner Geschichte natürlich einen Ruf, den wir hören… Aber, wo sind die Jungen?

Im eisigen Wind der ersten Märzhälfte machte ich super Fortschritte und kletterte am 2. Tag in der Route bereits zwei Mal sturzfrei durch die ganze Cruxzone vom 4. bis zum 7. Bolt. Vorstieg war das Ziel! Doch dann setzten die warmen Tage mit 20° C im Schatten ein. Da konnte ich nicht mal mehr einzelne Griffe festhalten, die Füsse quollen in den engen Schuhen… Eine Qual auf den kleinen Leisten. Ich beschloss, die Route auf den nächsten Winter zu vertagen.

Immerhin, dachte ich, noch schnell was Gutes getan und die Plättchen raus und Klebehaken rein. Optisch sieht die Wand jetzt auch besser aus. Und für’s Klettern nicht ganz unwichtig: Sie sind nun an der richtigen Stelle. Andi, Peter und Stefan brachten mich darauf. Alle Bolts reihen sich nun wie entlang einer schnurgeraden Linie, leicht zu klippen und weg von den schwierigen Stellen. Dies bedeutet, dass man die Bolts nicht mehr direkt vor der Brust hat. Meiner Meinung nach stellt dies in Plattenklettereien nämlich einen Vorteil dar. Die Erfahrung lehrt ja, dass Topropes in Platten die Möglichkeit erlauben, gleichgewichtslabile Stellen durch das Seil von oben austarieren zu können (ähnlich einer Balancestange für Seiltänzer). Damit werden derartige Moves natürlich schnell einmal leichter als im Vorstieg. Dies ist jetzt kaum mehr möglich, da man nun von den Bolts wegklettern muss (das macht sich insbesondere beim heiklen Fusswechsler am 5. Bolt, dem anschliessendem Kreuzzug mit der rechten Hand sowie beim folgenden Aufstehen mit dem rechten Fuss bemerkbar).

Übrigens - völlig unbeeindruckt von der Wärme und dem ausbleibendem Wind zog Stefan Schiller vor einer Woche eine Begehung durch. Impressionant und Felicitations! Peter schaffte sie bereits im Toprope. Bei seiner exzellenten Fusstechnik und den immer trockenen Fingern müssen wir uns keine Sorgen machen, dass er da nicht auch im Vorstieg raufkommt. Bei mir hingegen sah das nicht so sicher aus… Auch Martina meinte ganz offen, dass man im Vergleich zu Stefan und Peter keinen Plattenkletterer in mir erkennen könne…

Als ich heute Morgen aufwachte, wusste ich noch nicht, dass Martina und ich im Pelzli landen würden. Ja, noch nicht einmal am Mittag. Auch nicht am beginnenden Nachmittag. Vom Fenster unserer Dachwohnung sah ich Schnee auf dem Gempen! Dunkle Wolken rollten von Westen an. Dennoch, raus in die Natur. Einfach probieren. Nicht weit fahren. Wohin? Pelzli! Martina hatte ja auch ihr Projekt dort. Schon bei der Hinfahrt streifte der Blick den Schnee auf den Hängen eingangs des Laufentals. Und dann zierten gleich darauf Hagel und Schneeregen die Windschutzscheibe! Nicht aufgeben. Man kann ja trotzdem mal schauen gehen…

Während Martina‘s ‘Fondation et empire‘ trocken blieb und sie die Route auch klettern konnte (Bravo!), glänzte ‘The Wall‘ vor Nässe. Der eisige Wind heute liess die Wand aber trocknen. Als ich mich gerade anschicken wollte, die Expressen einzuhängen ging dann dafür ein Graupelschauer und darin inklusive meine Motivation nieder… Und wieder aufkeimende Hoffnung mit dem Wind. Ein Topropedurchgang… Ups, Züge und Tritte schon vergessen… Und doch fühlte ich mich fit. Was war zu verlieren? Nichts! Also Seil abziehen und Vorstieg. Den musste ich ohnehin üben!

Einstieg, innere Ruhe, ruhig bleiben, höher stehen, nur halten, ruhig atmen, stehen, anspannen, Finger an die kleinen Features anpassen… Die Konzentration und Koordination hat gereicht bis obenhin. Es ging tatsächlich einfach. Ja, fast schon zu einfach. Oder wie Peter es schon ausformulierte: Wenn man’s richtig macht, dann ist es nicht schwerer wie 7b+! So hat es sich dann auch angefühlt… Super!

Und oben angekommen, hängte ich nicht einfach nur die Umlenkung ein, um mich fallen zu lassen. Nein, ich stieg oben über die Umlenkung auf den Absatz aus – in die plötzlich durchbrechende Abendsonne, um mich hinzusetzen, ganz oben, entlastet die Hände und Füsse, um zu atmen, um zu leben und zu wissen, dass ich im Pelzli einen persönlichen Endpunkt erreicht habe, der mich zufrieden und frei macht.

Kommentare

Alex hat gesagt…
Sehr interessant die Geschichte hinter der Tour mal zu hoeren !!!