Kurt Albert: 1954 - 2010

von Markus

Und plötzlich prangte so ein roter Punkt am Einstieg des "Seidenstrumpf" in der Tüfleten. Wer sich achtet, sieht ihn heute noch. Auch der rote Punkt beim "Amigo" kann man noch etwas erkennen. Auch in der Ingelstein gibt es noch ein paar rote Punkte ("Salamander").

Mein Sandkasten-Freund Roland und ich haben den "Seidenstrumpf" aus dem Jahre 1959 schon etliche Male bezwungen. Der Haken, an dem wir uns hochgezogen haben, steckt heute noch. Allerdings baumelte an diesem Haken noch eine 4-trittige Alu-Leiter, die fürchterlich viel Lärm verursachte. Der Einstieg von "Seidenstrumpf" war mit A2 angegeben. Roland und ich konnten dem nur zustimmen: ein sackschwerer Einstieg, gefährlich, schlecht abgesichert!

Ein weiteres Mal wollten wir an diesem Sonntag den "Seidenstrumpf" klettern. "A2, 5+" lautete die Bewertung. Wir wussten, es wird wieder so ein Wahnsinns-Knorz über diesen Überhang. Und dann sahen wir ihn. Frisch, neu und leuchtend rot. Die Schmierer sind jetzt schon am Fels unterwegs, dachten wir. Bereits ein paar Tage später haben wir erfahren, was dieser rote Punkt zu bedeuten hat: die Route konnte ohne Zuhilfenahme einer Leiter und ohne sich an den Haken zu halten geklettert werden. "Wahnsinn", dachten wir und sofort wussten wir, wer der oder die Übeltäter waren. Das Urgestein des Freikletterns im Basler Jura kann heute noch im B2 beim Bouldern bewundert werden und kann die exakte Geschichte erzählen.

Erst viele Jahre später ist mir dann auch der freie Durchstieg durch dieses Dach gelungen. Ich musste mich arg zusammenreissen und hatte fürchterlich Angst, dass es mich nicht von den schmierigen Tritten runterhaut. Aber es hat geklappt. Ich weiss nicht, ob der "Seidenstrumpf" die erste Route mit einem roten Punkt war, zumindest aber eine der ersten zehn. Heutige Bewertung: 5c+ oder 6a. Das Dach wird heute zusammen mit der "Banana Republic" geklettert, ist aber definitiv der Originaleinstieg zum "Seidenstrumpf".

Seit Mitte der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts gibt es für mich zwei über alles leuchtende Idole: Wolfgang Güllich und Kurt Albert. Wer kennt die beiden nicht. Kurt Albert gilt als der Erfinder des roten Punktes, des Freikletter-Gedankens. Heute ist "rotpunkt" weltweit akzeptiert und wird selbstverständlich praktiziert. Es brauchte enorm viel Kraft, Energie und noch viel mehr Können, die seinerzeit gültige Notation ("schwerer als 6+ kann ein Mensch nie klettern") aufzubrechen. Zusammen mit Wolfgang steigerte Kurt das Kletter-Niveau in nie geahnte Höhen und viele ihrer Routenkreationen sind heute noch absolute Marksteine der Klettergeschichte, so zum Beispiel "Action Direct" von Wolfgang Güllich oder die Routen "Royal Flush" oder "Raiders on the Storm" in Patagonien. Routen mit der Bewertung -7 aus den frühen "rotpunkt"-Tagen sind auch heute nicht einfach zu klettern. Die "Illusion" an der Ostwand des Daumens im Pelzli lässt herzlich grüssen!

In meiner Fantasie und wildesten Träumen kletterten wir drei zusammen durch die schwierigsten Wände dieser Welt, bezwangen zahllose Risse und im Yosemite kletterten wir durch "Separate Reality". Noch heute prangt das Riesenposter von Wolfgang's Solobegehung von "Separate Reality" über meinem Schreibtisch zu Hause. Es war mir leider nie vergönnt, die beiden persönlich kennen zu lernen.

Meine beiden Idole leben nicht mehr. Wolfgang starb vor Jahren bei einem Autounfall. Kurt Albert verschied gestern Abend 56-jährig, nachdem er von einem Klettersteig 18 Meter abstürzte. Jetzt bin ich alleine.

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