Der Geschichtenerzähler - Teil 3

von Markus

Es ist Samstag. Ich schaue aus dem Fenster und muss realisieren: es hat in der Nacht geregnet. Nun gut, damit muss ich leben. Der Wetterbericht sagt aber auch, dass nach dem Regen besseres Wetter sein wird. Nur, was heisst denn "besseres Wetter"? Der Wind frischt auf und so hege ich die leise Hoffnung, dass es mit dem Outdoor-Klettern etwas wird. Um 13 Uhr hole ich Roland in Basel ab. Der Himmel wird von dicken und dunklen Wolken bedeckt. Wir entscheiden uns, an den Gempen zu fahren. Gempen aus dem Grund, dass wenn vielleicht ein wenig Sonne zwischen den Wolken hervorschauen sollte, dann wird das Klettern am Gempen sicher am meisten Freude bereiten. Nach der kurzen Fahrt parken wir das Auto, schultern einmal mehr unsere Rucksäcke und gehen zielstrebig zum "Négligé", meinen Projekt. Roland ist, wie ich auch, ein nachhaltig Sandührli-Wand Geschädigter. Mit den falschen Löchern in den Händen, kann in der Wand eine 5c sofort zu einer 6c mutieren. Der Wind meint es gut mit uns und hat die Wand bereits komplett abgetrocknet. Die Erfahrung sagt mir, dass bei solchen Bedingungen der Grip enorm gut ist.

Ich hänge die Express ein nicht ohne meine Schlüsselstellen auszubouldern. Der Grip ist sagenhaft, die Moves gehen alle problemlos. Allein die Sohlendicke meiner Schuhe macht mir etwas Sorgen. Die Felsstruktur kommt doch sehr intensiv durch. Das hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Wieder am Boden zurück, bereitet sich Roland für seinen ersten Top-Rope Durchgang vor. Ich erkläre ihm die untere Schlüsselstelle. Er kletterte sie auf Anhieb. Auch die zweite Schlüsselstelle klettert er ohne Mühe. Er meint, es sei eine tolle und sehr abwechslungsreiche Route. Ab sofort sind wir keine nachhaltig Sandührli-Wand Geschädigte! Nun bin ich an der Reihe und mein Tages-Ziel ist es, die Route endlich im Top-Rope durchzusteigen.

Wie ich so meine Kletterschuhe anziehe muss ich feststellen, dass beim rechten Schuh eine starke Tendenz zum Krokodil besteht. „Vergiss es, vergiss es einfach. Mit den Schuhen geht das nie und nimmer.“ Der Geschichtenerzähler – er ist wieder da. Von wo kommt denn der wieder her? Ich beachte ihn nicht weiter, steige in die Route ein und alles geht problemlos. Der Top-Rope Durchgang hat gezeigt: Markus, es passt alles. Unten angekommen höre ich: „Vergiss es. Mit den Schuhen geht das nie und nimmer. Hättest halt vorher schauen müssen. Mit dem Krokodil vorne rechts? Mit dieser dünnen Sohle? Nein, nein, das funktioniert nie!“. Nochmals steigt Roland durch die Route und dann muss ich mich entscheiden. Gebe ich dem Geschichtenerzähler recht, so hat er gewonnen. Eigentlich ist das sein Ziel. Aber ich will ihm nicht recht geben, nein. Aber er könnte ja doch wirklich recht haben. Mit den Schuhen – oha – das wird dann schon noch ein Versuch der speziellen Art! Aber ich mag einfach nicht mehr an all die Wenn und Aber glauben, denn der Top-Rope Durchgang hat gezeigt, dass alles geht. Ich ziehe das Seil ab, einmal mehr sind Fakten geschaffen. Beim Einstieg lächelt mich das Krokodil nett an. Es wird schon klappen, sage ich mir und steige ein. Es passt denn alles auch haargenau und so erreiche ich nach wenigen Minuten den Ausstieg und bin überglücklich.

Négligé. Das ist so eine uralte Geschichte aus meinem Kletterleben. Zum ersten Mal angeschaut habe ich die Route im Jahre 2000. 2 Jahre später bin ich zum definitiven und unumkehrbaren Entscheid gekommen, dass die Route nie im Leben geht, denn die Löcher werde ich nie halten können. Im Oktober 2010 dann der Durchstieg bei allerbesten Kletterbedingungen. Manchmal braucht es Hartnäckigkeit und Wille um etwas Einzigartiges zu erleben. Oder wie sagt der Volksmund treffend: Gut Ding will Weile haben.

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