Den Blick schärfen...

von Chris

Castelbianco nahe der Ligurischen Riviera zwischen Weihnachten und Neujahr. Eine orange Welle aus Kalk scheint sich über meinem Kopf zu brechen… die Route sieht schön, provozierend und geil aus… die Züge gehen… alle Expressen hängen bereit, verlängert wo nötig und auf die richtige Seite gedreht… trockene Luft… knappe zehn Grad – ideal für die Sloper…. ein netter Grad: 8a – bald die zweihundertste…
Alles scheint ideal zu sein, ready for redpoint…
Ich steige ein und – es ist mir alles egal.

Egal ob ich raufkomme oder rausfliege. Die Gedanken sind völlig woanders: Bin ich wirklich in der Lage mit einem Vollformater scharf zu stellen? Ist es richtig: Offenblende, dann auf Live-View und zwei Mal herzoomen, den Hintergrund manuell scharfstellen, dann mit dem kleinen Fensterchen auf den Vordergrund und abblenden? Kann ich das, klappt das? Und bei milchigen Farben nicht vergessen den Weissabgleich manuell vorzunehmen und im Blendenmodus auf +1EV… das habe ich doch glatt wieder verpennt beim Shooting heute früh… und dann beim 10-Stop-Filter, da hat…
Ach Ja… Ich bin ja eigentlich noch am klettern… Huch – da ist ja schon die Crux: Aufhocken und weiten unkontrollierbaren Dynamo in den Seitgriff… Und jetzt: Ich, Offenblende oder Seitgriff?

Keines von den Dreien… Vier Meter segle ich durch die Luft… Und es ist mir egal. Meine einzige Sorge ist, die Versuche möglichst schnell abzuknipsen, damit noch Zeit für ein Shooting am Meer zum Sonnenuntergang bleibt…
Seit Oktober letzten Jahres quäle ich mich mit der Frage herum, was mir Wichtiger erscheint: Immer das Schauspiel am Fels wie in den letzten bald 30 Jahren oder aber die Gewissheit, eine innerlich gefühlte Bildsprache, die ausgelebt werden möchte, bisher vernachlässigt zu haben. Malen, dass ich vor zwanzig Jahren für einige Jahre versucht habe, kann ich heute nicht mehr bei all den Verpflichtungen, die ich mit meinen Liebsten und im Beruf selbst eingegangen bin. Zu zeitraubend, bis nur einmal alles an Farben angerührt und der richtige Moment der Inspiration abgewartet ist. Dazu braucht man auch noch ein Atelier.

Da scheint mir Fotografieren sehr viel platzsparender und intuitiver von den Möglichkeiten zu sein. Ein Computer als Atelier und eine Kamera als Pinsel. Die Natur ist dabei selbst schon Staffelei.Erste Versuche in den Jahren 2007 und 2008 ersticken wieder als ich gottseidank mein Leben umkrempelte. Nun, wieder mit mehr Ruhe, realisiere ich, dass ich für das Klettern viel , sehr sehr viel von meiner Zeit hergegeben habe und Anderes brach lag – vor allem das Bedürfnis nach bildnerischer Gestaltung. Mir wird zunehmend klar, dass ich dieses leben will und stelle die einzigartige Synthese fest, die sich mir nun aus Klettern und Fotografie ergibt: Das Klettern schärfte mir den Blick für die Einzigartigkeit fantastischer Landschaft, weg von den Mainstream-Touristen-Attraktionen und den klassischen Iconic Views. Kein Wunder ist mein Bedürfnis in der Fotografie Landschaft einzufangen – aber nicht einfach nur diese abzulichten, sondern ihr einen gesteigerten Ausdruck zu verleihen. Emotionen, welche sonst nicht sichtbar sind, durch das Abbild der Natur zu kommunizieren.
Was für ein Challenge…

Kann sein, dass ich dafür einige Grade an Kletterkönnen werde opfern müssen, um dem enormen Zeitanspruch, der Fotografie erfordert, auch gerecht werden zu können…
Ups – das ist doch eine Kletterblog… Hm, schnell was über's Klettern erzählen: Ach Ja, am letzten Tag im allerletzten Versuch bin ich den Climb doch noch sturzfrei hochgekommen... aber fragt mich ja nicht wie und warum :)

Visit my photostream auf Flickr chris frick

Kommentare