12 Tage im Leben des Jura-Dinos

von Markus

Ich sitze so vor meinem Laptop zu Hause und Lemmy Kilmister brüllt mir irgendwas von „Ace of Spades“ in die Ohren. In meinen Gedanken verstreichen nochmals die vergangenen 12 Tage. 12 Tage sind viel und doch so wenig. In den vergangenen 12 Tagen ereignete sich folgende Geschichte:
 
Ich schaue aus dem Fenster des 6. Stockes eines hohen Bürogebäudes in Düsseldorf. Die Wolken hängen tief, ein weiterer Regenschauer kündigt sich an. Ich sitze vor dem PC in Jacket mit eiskalten Fingern und eiskalten Füssen. Soeben habe ich ein Mail erhalten mit dem Inhalt, dass die ganze Schweiz beinahe gebraten wird, so heiss sei es. Etwas mehr als 500 Kilometer weiter nördlich feiert die nächste Eiszeit ein fröhliches Stelldichein. Es ist August 2011. Ich kann das fast nicht glauben: ich friere, dass mir fast die Zähne klappern und zu Hause soll es schönes und warmes Wetter sein. Ich arbeite weiter an einer verflixt komplizierten Aufgabe. Wenn die Einlese-Datei nicht stimmt, stimmt anschliessend die ganze Bilanzkreisabrechnung nicht und dann habe ich den Salat und anschliessend lange Diskussionen. Ich gebe mir alle erdenkliche Mühe – aber es ist so unwahrscheinlich kalt in dem Büro, ich kann mich nur schlecht konzentrieren. Plötzlich trifft ein SMS bei mir ein. Das sind die wichtigen Dinge im Leben und so schaue ich natürlich sofort nach, wer mir eine SMS sendet. Eine ganz grosse Überraschung: Judith fragt, ob ich am kommenden Dienstag Zeit und Lust habe mit ihr klettern zu gehen. Binnen weniger Minuten ist klar: Dienstagmorgen um 06:30 Abfahrt Richtung Furka. Das Ziel: Conquest of Paradise am Hanibal. Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder einmal etwas wirklich Wichtiges in meinem Leben zu erleben. Sofort ist die Konzentration wieder da, die Einlese-Datei stimmt jetzt und ein paar Sekunden später stimmt auch die Bilanzkreisabrechnung. Gute Arbeit! Aber es ist immer noch kalt, aber die Aussicht auf eine solche Tour lässt mein Herz höher schlagen.

Es ist 06:30 Uhr am Dienstag, 23. August 2011. Der Klettertag beginnt mit einem leuchtend rotem Morgenhimmel. Wir kommen auf der Autobahn gut voran, es herrscht praktisch kein Verkehr. Über Andermatt und Hospental geht es Richtung Furkapass. Ich bin schon viele taussend Kilometer Auto gefahren, aber in dieser Gegen der Schweiz war ich noch nie. Schon bald sind wir auf dem Furkapass. Das Thermometer zeigt 12 1/2 Grad an. Das sind richtig gute Temperaturen, ideal zum Klettern. Schnell ist der Rucksack gepackt und los gehts Richtung Hanibal. Auch hier kommen wir gut voran. Der Weg ist einfach zu finden. Nur das Gehen über den Gletscher macht mir etwas Mühe. Das letzte Mal stand ich vor über 30 Jahren auf einem Gletscher. Da geht halt schon das Gefühl dafür etwas verloren. Nach rund 1 Stunde Anmarsch stehen wir am Einstieg der Route. Ich habe natürlich auf dem Internet recherchiert und auch Bilder vom Hanibal gesehen. Aber einmal mehr wird mir bewusst, dass die Wirklichkeit so unendlich viel schöner ist. Da stehe ich am Einstieg eines wahr gewordenen Klettertraumes aus bestem Granit. Die Seilschaft vor uns ist bereit für den Einstieg. Wie immer, muss ich natürlich quatschen. Dabei erfahre ich, dass die Lady am Seilende 71 Jahre alt ist und seit 1963 ein steifes Fussgelenk hat. Sie wollte für ihren Mann Holzkeile beschaffen, rutschte auf dem Schneefeld aus und knallte nach einer langen Rutschpartie in einen Felsblock. Sie ist für mich der lebende Beweis, dass ich es also auch schaffen könnte, mit 71 noch klettern zu können.



Die Kletterei geht sehr gut voran. Wir wechseln im Vorstieg ab. Ich habe das Glück, die Schlüssel-Seillänge klettern zu dürfen. Getreu dem Topo klettere ich vom Stand nach links weg. Und dann sehe ich, weshalb dies die Schlüssel-Seillänge ist. Da es keine Tritte hat, gibt es zum Ausgleich auch keine Griffe. Meine Sharma-Überhang-Schuhe müssen Schwerstarbeit verrichten. Der Gummi krallt sich im Granit fest und irgendwie schaffe ich es, die Bolts zu klippen und klettere wieder zurück zu einem guten Rastpunkt. Ich konzentriere mich, gebe Judith ein Zeichen, es geht los! Wieder greifen meine Sharma-Schuhe perfekt, ich kann das Körpergewicht ideal verlagern, bekomme deshalb Schwung in meine Bewegung und mit etwas zittrigen Fingern spüre ich weit oben eine kleine Delle. Das reicht mir um aus der Schlüsselzone klettern zu können und somit ein absolutes Highlight zu erleben. Noch nie ist es mir gelungen, eine 6a+ onsight im hochalpinen Granit zu klettern. Die restlichen Meter bis zum Standplatz klettere ich wie in Trance, eine Traumseillänge. Wenige Minuten später sitzen wir auf der Hanibank und haben das Glück, die Lokalmatadoren kennen zu lernen. Sie sind damit beschäftigt, die Highline zwischen Hanibal und dem hinteren Turm zu spannen. Wie die Bank auf den Hanibal gekommen ist? Wir wissen es jetzt!

Bald seilen wir uns über die Route wieder zum Wandfuss ab, verpflegen uns ausgiebig, geniessen die Einzigartigkeit der Gegend und wandern anschliessend wiederum eine Stunde zurück zum Auto. Ein weiterer Traum ist in Erfüllung gegangen und nach sage und schreibe 8 Jahren haben Judith und ich zusammen wieder eine Tour geklettert. Judith, allerbesten Dank für diesen wunderschönen, einzigartigen und unvergesslichen Tag voller Erlebnisse und Abenteuer.



Bereits 2 Tage später (25.8.2011) gehe ich wieder klettern. Mit dabei sind Arbeitskollegen. Nach dem Feierabend fahren wir zum Kluser Klettergarten. Wir verbringen zusammen einen wunderbaren Abend, bis uns der Regen buchstäblich aus dem Wald spült.

Wiederum 2 Tage später (27.8.2011) bin ich bereits wieder unterwegs. Es ist instabiles Wetter angesagt. Nichtsdestotrotz fahren Jüschi, Roland, Carmen und ich zusammen in den Solothurner Jura. Hinteregg ist die heutige Wahl. Aber wir haben die Wahl ohne Petrus zu fragen getroffen. Gerade kommen wir beim Restaurant Hinteregg an, fängt es an zu regnen. Wir kehren um und fahren in den Kluser Klettergarten. Dort werden wir total verregnet. Also gehen wir wieder zurück zum Auto und weiter Richtung Eptingen. Aber was treffen wir dort an? Regen. Roland hat die Blitzidee und schlägt „Falken“ vor. Mit einem Umweg von gut 3 Stunden treffen wir so gegen 14 Uhr in der Falken ein. Alles trocken, das Wetter stabil. Weshalb sind wir dann überhaupt weggefahren? Bald hängen überall die Express-Schlingen und wir sind heftig am Klettern. Auf dem Weg zurück zum Auto spüren wir alle diesen Klettertag in den Knochen.


Wiederum 2 Tage später, es ist inzwischen Montag, der 29. August fahren Jüschi und ich zusammen nach Ueschinen. Noch nie war ich dort, es soll schöne Routen haben. Beim Packen des Rucksacks auf dem Parkplatz muss ich konstatieren, dass der Helm nicht mit dabei ist. Das ist schon kein so  prikelndes Gefühl. Jüschi meint, dass sich deshalb nun die „Diagonale“ bestens als Ziel eigne. So würden die Steine immer neben mir in die Tiefe sausen. Der hat ja gut reden. Die Sonne lacht vom Himmel, der Anstieg geht locker von sich und bereits nach 30 Minuten stehen wir beim Einstieg der „Diagonalen“. Die Absicherung wird mit gut+ angegeben. Aber das stimmt nicht. Die ist super! Jüschi startet mit der ersten Seillänge. Wir wechseln uns im Vorstieg ab. Jüschi ist sehr froh, dass er mir in einer etwas feingriffigen Platte den Vortritt geben darf. Anschliessend bin ich heilfroh, die berühmte Querung im Nachstieg klettern zu können. Die rund 30 Meter lange anschliessende Querung ist dann der absolute Hammer. Noch selten hatte ich derart viel Luft unter den Sohlen. Es ist eine traumhafte Seillänge in bestem Fels und super abgesichert. Wir planten für die 8 Seillängen mindestens 4 Stunden ein. Aber bereits nach 2 3/4 Stunden sind wir oben angelangt. Das hat nun nichts mit Speedklettern zu tun, sondern einfach mit Klettern im grünen Bereich. Wir hatten unseren Heidenspass in der Route. Wir suchen die Abseilstelle und finden sie natürlich nicht. Stattdessen seilen wir über die „Familienroute“ ab. Wir fühlen uns fit und es ist eigentlich noch viel zu früh um nach Hause zu gehen. Deshalb klettern wir noch besagte „Familienroute“. Aber auch hier hat sich Jüschi etwas ganz spezielles ausgedacht. Er klettert direkt über 3 Standplätze hinaus 70 Meter hoch. Ich kann anschliessend einen 100 Meter-Lauf absolvieren. Zunächst 70 Meter im Nachstieg und anschliessend 30 Meter im Vorstieg. Das war ein absolutes Highlight, einfach super. Jüschi verbindet die beiden letzten Seillängen und so stehen wir wohl unter 1 Stunde Kletterzeit am Ausstieg. Einen Wermutstropfen hat es allerdings gegeben. Es gab eine Wolke am Himmel. Eine - und die hing bei uns. Wir kletterten den ganzen Tag im Nebel, was aber der Freude an den Routen keinen Abbruch tat. Gemütlich seilen wir ab, verpflegen uns ausgiebig und marschieren anschliessend zurück zum Auto. Bereits um 18:30 Uhr sind wir wieder in Basel.

Ich kenne Jüschi schon viel Jahre und bin viel mit ihm im Basler Jura unterwegs. Noch nie waren wir zusammen in den Alpen klettern. Dieser eine Montag hat mich unheimlich glücklich gemacht. Endlich konnte ich mit meinem guten Freund eine gemeinsame Klettertour in den Alpen unternehmen. Jüschi - vielen, vielen Dank für dieses supertolle Abenteuer!


Zu guter Letzt gelingt mir am vergangenen Samstag, den 2. September 2011 noch eine weitere gute Sache. Zum ersten Mal kann ich an einem Tag 2 Routen im Schwierigkeitsgrad 6b astrein im Vorstieg klettern. 

Diese 12 Tage sind wie im Flug vergangen. Ich hatte die Möglichkeit, sehr viel für mich selber zu bewirken, Mehrwert für mein Leben und für meinen unruhigen Geist zu schaffen. Aber ohne meine lieben und treuen Freunde wäre das alles gar nicht möglich gewesen. Zusammen sind wir durch dick und dünn gegangen. Die gemeinsamen Touren mit all ihren Erlebnissen haben die Bande noch enger geknüpft. Euch allen gilt mein allerherzlichster Dank!

Kommentare