6 Wochen und die 200 - Part 1: Petit Cap und St. Léger

von Chris

Es war nie mein Ziel eine bestimmte Anzahl gewisser Routen oder Schwierigkeitsgrade abzuklettern. Dass es dann aber doch zu einer stattlichen Zahl von Durchstiegen gekommen ist, sehe ich eher als Ausdruck der Leidenschaft. Oder ist es pure Obsession? Buchstäblich ist es aber das nicht loslassen können. Auch nach bald 30 Jahre nicht loslassen können vom Erlebnis, von der Challenge eines Kletterprojekts, der Schönheit der Moves, den fantastischen Landschaften, der mit Freunden geteilten Ambiance und ganz einfach und banal vom Willen den nächsten Griff festzuhalten. Manchmal ist Klettern wie ein Spiegel. Darin finde ich mich mit all den anderen Metaphern wieder - wie z.B. das Hängen über dem Abgrund als Spiegelbild seelischer Abgründe. Aber ich verliere schon wieder den Faden und sinniere vor mich hin. Solche Kletterphilosophie füllt einen Blog allein.

Also genug davon und stattdessen berichte ich einfach über den Kletterfluss, den ich die letzten Wochen erleben durfte und den ich weder geplant, noch erträumt hatte. Wenn sich dieses seltene Gefühl der Leichtigkeit einstellt und die Motivation einem von einer Route zur anderen, von einem Gebiet zum nächsten und zu ständig neuen Erlebnissen trägt. Dazwischen stelle ich fest, dass ich die zweihundertste 8 durchstiegen habe. Aber so genau weiss man das ja nie, vielleicht waren es schon mehr, vielleicht doch weniger. Denn wer weiss denn schon, wann, wie und wo welcher Grad auch stimmt. Dennoch kann ich - wenn ich ehrlich bleiben möchte - nicht verhehlen, dass auch ein gewisser Schwierigkeitsgrad ein Motivationsgrund darstellen kann. Also richte ich meine Energie schon auch auf diesen achten Grad. Vor 25 Jahren schien mir der Grad 8a gleichbedeutend mit einer Reise zum Mars zu sein - unvorstellbar schwierig und somit unerreichbar. Und hinter der 8a-Grenze schien mir auch immer etwas Geheimnisumwittertes zu liegen. Als wäre dort das Gral zu finden, welches auf diesem Niveau die perfekte Symbiose von all jenem garantiert, was das Klettern ausmacht wie Schönheit der Moves, tolle Linie, grossartige Felsqualität, Anspruch und völliges Aufgehen des Kletterers mit der Kletterei, mit dem von der Natur gestellten Problem an sich.

Uh, schon wieder den Faden verloren und entweder in philosophischen Ernst, oder doch viel mehr in bedenkliche Phantasterei abgedriftet? Wie dem auch sei, ich glaubte daran und irgendwie hat es sich in mir festgesetzt. Schlecht lebe ich damit nicht. Dieser Gral - vermeintlich oder auch nicht - erlaubt mir immerhin die Flucht aus dem Alltag. Kleine Fluchten - grosse Wirkung: Ich lebe und liebe das Leben.
Die sechswöchige Reise begann im Jura. Ändu ist ein nimmermüder Allrounder. Am Fels vom Lindentäli bis zu 'Eternal Flame' am Trango Tower unterwegs, schafft er auch noch den Spagat von Family mit zwei Kids und einem Job in der Forschung. Genau der richtige Partner für ungewöhnliche Projekte wie 'Subway' am Petit Capucin. Schliesslich ist das keine Hopp und Ex-Kletterei, sondern es braucht dazu Begeisterung und die Bereitschaft Neues zu lernen. Eigentlich sind Begriffe wie 'blutrünstig' und 'gemein' beim Klettern nicht so angebracht, treffen aber ausnahmsweise auf dieses Handrissdach zu. Komisch, dass eine so eigenwillige Route 1985 zur ersten 8a im Jura überhaupt wurde. Aber Philippe wird schon gewusst haben, was er da getan hat.

Bis ich wusste, was ich dort zu tun hatte, vergingen doch drei Tage. Einmal mit Markus bei infernalischer Hitze hatte ich gar kein Brot. Ich haderte mit den Lösungen zwischen zweitem und dritten Bolt und meinen grossen Händen in den engen Klemmern. Ein weiteres Mal für zwei Stunden am Abend mit Tina fand ich eine Lösung, hatte aber kein Glück beim Durchstiegsversuch. Bei der vierten Session - wieder mit Ändu - schien der Regen mit einer nassen Ausstiegsplatte den Durchstieg verhindern zu wollen. Dank Nico Zambetti gibt es aber die trockene Ausstiegsvariante 'Airway', welche aber nichts an 'Subway' ändert, da das Dach die Crux bleibt. Mit viel Tape um Hände und Finger konnten wir beide so diese selten wiederholte Geschichtslektion unbeschadet überstehen und die Kids von Ändu werden's dem Papa verdankt haben, dass er sie nicht mit aufgerissenen Fingern begrüsst und das Jüngste gewickelt hat…

Zwei Tage später waren Tina und ich schon auf dem Weg nach St. Lèger. Jawohl St. Lèger in Südfrankreich - im Juli und damit also mitten im Sommer! Der ständige Gewitterregen und die düppige Luft vertrieben uns aus der Schweiz.
So fanden wir uns bei idealen Temperaturen um 18°C und angenehmer Luft vor der absolut trockenen Wand der Face Nord. Ich hatte einmal vor vielen Jahren ein schlechtes Erlebnis dort und empfand die Kletterei als brüchig und unlohnend. Zu meinem Glück erschien mir diesmal die Wand aber nur schon vom Anschauen als überaus einladend und motivierend. Und so war auch die Kletterei. Kein Bruch, sondern tolle, lange Sinterkletterei. Die Motivation stieg gleich noch einmal an, als mir 'Black Mamba', eine 8a mit grandioser erster Hälfte und nach einem Riesenrest mit einer tricky Crux an Slopern gleich im zweiten Versuch gelang. Auch Tina fand ihre 7a's und b's, welche sie mit Begeisterung genoss.

Reisen bringt auch noch andere Überraschungen mit sich und da die Welt der Kletterer doch eher klein ist, traf ich nach vielen Jahren wieder auf Arno Köppel, der vom Elsass in die Nähe von Apt zog…. Was nur zu verstehen ist! Er zeigte mir 'Quand le blues l'emporte sur la raison', einen weiteren Klassiker und vor allem auch die Moves mit den Knieklemmertricks, auf die man in dieser offenen Wand nicht gleich auf Anhieb kommen würde. Dank ihm klappte diese überaus lohnende Resistance-Kletterei am nächsten Tag gleich auf Anhieb.
Und wenn die persönlich notierte Statistik stimmt war das dann auch die 200. Route ab 8a... Diese Erkenntnis ging dann aber ganz unaufgeregt und schmerzlos vorüber...
Viel mehr Aufmerksamkeit erregten die dunklen Wolken über dem Mont Ventoux, die nichts Gutes verhiessen und uns die Entscheidung leichter machten, auf die andere Seite der A7 in die Gard zu wechseln und das für uns unbekannte Les Concluses zu entdecken...

Part 2 folgt

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