von Markus
Drrrr. Was
war denn das? Ich schaue auf mein Büropult und sehe nichts. Drrrr
hat es aber klar und deutlich vernehmbar gemacht. Wenn der Laptop
durchzudrehen droht, dann dreht zunächst nur der Ventilator in
ungeahnte Drehzahlen und macht nicht Drrrr. Was war denn dieses
Drrrr? Ach ja, das könnte ja auch mein Handy gewesen sein, fällt es
mir ein. Ich nehme es in die Hand und tatsächlich, ein SMS ist
eingetroffen. Es ist die Anfrage zum gemeinsamen Klettertag in der
Gorges du Court. Unschwer errate ich den Absender der SMS, es ist der
junge Jura-Saurier.
Sofort ist
klar worum es geht und ich freue mich unglaublich, nach über einem
Jahr wieder zusammen mit Chris klettern gehen zu können. Begeistert
sage ich zu und auf der Zugfahrt von Bern zurück nach Basel überlege
ich, wann wir zum letzten Mal zusammen klettern waren und im ganz
Speziellen, wo wir das letzte Mal zusammen am Fels unterwegs waren.
Der Leser
dieses Blog erinnert sich vielleicht noch an meinen Eintrag von
letztem Jahr mit dem Titel Update - April bis Juni 2012, welchen ich
anfangs Juli 2012 ins Netz stellte. Damals notierte ich, dass der
junge Jura-Saurier repariert werden müsse. Dies ist schon lange
geschehen und die etwas an der lokalen Kletterszene interessierten
Mitkämpfer wissen natürlich längst, dass der junge Jura-Saurier zu
alter Stärke zurückgefunden hat. Ein Blick auf den Liveticker lässt
dies unschwer erkennen.
Es ist kein
Zufall, dass wir wieder zusammen an den Ort unseres letzten
Abenteuers zurückkehren, zu schön ist die Kletterei in der Gorges
du Court und unglaublich hart das Projekt von Chris. Es verschlägt
mir wirklich jedes Mal den Atem, wenn ich am Standplatz stehe und
Chris seine perfektionierten Kletterzüge absolviert.
Paroi des Romains |
So
sensationell gut die Routen in der Gorges du Court sind, für mich
hat es dort nicht so unheimlich viel zu tun. Gut, es gibt einige
elegante und schöne Routen im 6b/6c-Bereich, aber 6b ist halt schwer
und ich bin noch schwerer. Allerdings, das gebe ich offen zu, der
Trip in den Frankenjura hat mich schon wieder hungrig auf mehr
gemacht. In der Fränkischen war ich wieder knapp an 6b dran und
vielleicht liegt ja mit etwas mehr Training auch wieder eine 6b+ oder
gar 6c drin.
Die
Wettervorhersage für den 12. Oktober 2013 ist alles andere als gut. Es
soll ein Gut-Wetter-Fenster zwischen 12 Uhr und 18 Uhr geben. Wir
treffen uns um 11:15 Uhr auf P Angenstein und wenige Sekunden später
führt uns der Weg in die Gorges du Court. Auf dem Weg wischen die
Scheibenwischer literweise Regen von der Windschutzscheibe. Wir
fahren einfach weiter und tun so, als ob uns der Regen überhaupt
nichts angeht. Die Fahrt vergeht in gefühlten 10 Sekunden. Wir haben
uns viel zu erzählen und speziell die Geschichten die Chris über
seine Trips nach Flatanger zum Besten gibt sind so faszinierend, ich
könnte stundenlang zuhören.
Farbenpracht im Herbst (Danke Chris) |
Just in dem
Moment als Chris das Auto parkiert, hört es auf zu regnen und die
Sonne lacht vom Himmel. Schnell packen wir trotzdem unsere ganz
warmen Sachen in den Rucksack und machen uns auf den Weg. Ein erster Blick hoch zu den Felsen lässt das Herz tanzen.
Zumindest die projektierte Linie von Chris ist absolut trocken. Es
gibt nicht eine nasse Stelle in der ganzen Wand. Aber das ist leider
nur ein Teil des heutigen Plans und wir hoffen einfach, dass im
auch für mich kletterbaren Teil des Klettergebietes alles ok ist.
Bald schwitzen wir in unseren warmen Kleidern, denn die Regenwolken
sind alle verschwunden und die Sonne scheint von einem wolkenlosen
Himmel. Plötzlich ist es fast schon heiss, denn angenehm kühl. Nach
10 Minuten stehen wir beim Pilier Le Grec. An diesem Pfeiler befindet
sich eine 6a+, welche ich schon einmal im Top-Rope geklettert habe.
Die Hakenabstände erfordern doch etwas Mut und ich fühle mich
mental noch nicht bereit, diese Schwäche anzugehen. Gerade links
davon gibt es laut Chris eine schöne 6b+. Von unten sehe ich, dass
es jura-untypisch in regelmässigen Abständen Bohrhaken in der Route
hat. Wenn ich mich also entscheiden sollte, diese Route zu
projektieren, dann müsste ich mental nicht ans Limit gehen. Chris
steigt die Route in seiner gewohnt souveränen und ruhigen Art vor
und schon bald hängt das Top-Rope für mich. Das ist das grosse
Problem, wenn ich mit derart guten Kletterern unterwegs bin. Ich
erkenne nicht, wo die Schlüsselstelle in einer Route ist. Bei
Spitzen-Kletterern wie Chris sehen die Bewegungen in einer 8b exakt
gleich ruhig, überlegt und konzentriert aus wie einer 5b. Das wird
ja noch eine spannende Sache werden, so denke ich mir.
Marc sichert - Jurasaurier bastelt (Danke Chris) |
Nun gut, ich
binde mich ins Seil ein und Chris meint, dass ich beim ersten
Durchgang keine grosse Freude an der Route haben werde. So kam es
dann auch, denn schon nach wenigen Metern wusste ich weder ein noch
aus. Aber mit der puren Freude im Herzen überwand ich auch diese
erste für mich komplexe Stelle auf irgendeine Art und schon bald
stand ich vor der Abschluss-Wand. Die Moves gehen gut, bis auf den
mutigen Griff in einen patschnassen Griff und entsprechend flauem
Gefühl im Magen. Wenige Sekunden später stehe ich wieder am Anfang
von der Route und sage: "Das ist jetzt mein Projekt".
Endlich, nach vielen Monaten habe ich mich durchgerungen und für
mich ein Projektziel definiert. Chris ist überglücklich, denn er
weiss nun, dass er jemanden hat, den ihn in die Gorges du Court
begleitet.
Chris
klettert standesgemäss durch "Smoke and Fly" und
anschliessend bin ich mit einem weiteren Besichtigungs-Rundgang an
der Reihe. Ein paar Fragen bleiben noch, aber es bleibt dabei: Ja,
diese Route werde ich bald klettern können, dafür brauche ich nicht
5 Tage!
Wir wechseln
hinüber zur Paroi des Romains und damit zu Chris Projekt. Einmal
mehr klettere ich diese etwas spezielle 5b-Seillänge und hangle mich
anschliessend am Seilgeländer zum Stand. Schon wenige Minuten später
ist Chris für einen weiteren Versuch in La Cathédrale L3 bereit. Ready, Steady,
Go. Was ich dann sehe, verschlägt mir den Atem und die
Sprache. Statt auf irgendwelchen mit viel Aufwand produzierten HD-Filmli den Protagonisten unseres
Sport zusehen zu müssen, sehe ich echtes und ehrliches
Hochleistungs-Klettern in Reinkultur. Sensationell! Chris erreicht
einen neuen Höhenrekord in der Route, doch leider stürzt er am
allerletzten aber unglaublich schweren Zug.
Perfektes Klettern in perfektem Fels |
Eine lange Pause wird gut
tun, also seilen wir uns wieder mitten aus der Wand ab und wechseln
zu meinem Projekt. Ich bin zwar schon etwas müde, kann aber die
Route im Top-Rope mit einem Hänger klettern. Ein gutes Gefühl
überkommt mich. Ja, die Route geht. Noch einmal darf ich
Sportklettern der Extraklasse, vorgeführt in einer grandiosen
Umgebung, geniessen und schon bricht langsam die Nacht herein. Im
letzten Tageslicht erreichen wir das Auto und es beginnt wieder zu
regnen. Diesen Tag haben wir optimal ausgenützt.
Für
Samstag, den 19. Oktober ist schönes Herbstwetter und bestes
Kletterwetter angesagt. Wir treffen uns wieder auf P Angenstein.
Dieses Mal begleitet uns Marc in die Gorges du Court. Es wird ein
guter Tag werden, beste Bedingungen. Ich hege die Hoffnung, zumindest
einen guten Versuch in meiner Route hinzulegen. Nach 45 Minuten Fahrt
parkiert Chris seinen Wagen und wenige Minuten später sind wir am
Fels. Einmal mehr darf ich vorzüglichen Formel-1 Service der
Extraklasse geniessen, denn Marc klettert, wie sich das für ein
Balmchopf-Triologist gehört, onsight durch meine Route und schon
hängt das Top-Rope.
Schnell bereite ich mich für einen letzten
Sightseeing-Durchgang vor und los gehts. Das Alter schlägt zu und so
habe ich doch meines Erachtens zuviele ausgeboulderte Stellen
schlicht vergessen. Chris surft durch die
Route und ich kann mir noch ein paar bessere Lösungen für meine
Problemzonen ansehen und merken. Dann geht es Schlag auf Schlag. Marc
erlebt Türkische Wochen im Jura und ich stürze beim allerletzten
Move im ersten Go. Ich bin schon etwas enttäuscht, gleichzeitig aber auch stolz.
Denn zum ersten Mal seit 15 Monaten klettere ich wieder 6b+ und zum
ersten Mal seit Jahren fliege ich aus einer Route. Ich bin nun
motiviert und weiss, dass ich diese Route klettern kann, noch am
gleichen Tag! Nach einer guten Pause bin ich wieder an der Reihe. Ich
steige ein, aber die Nervösität hat mich schwer im Griff. Alles
zittert ein klein wenig und ich bin unkonzentriert. Es kommt
natürlich genau so, wie es kommen muss bei solchen Voraussetzungen. In der Mitte der Route ist
alles aufgebraucht, die Moral, die Kraft, das Wollen. Ich greife mit
der falschen Hand an einen guten Griff, realisiere diesen Fehler und
kann ihn nicht mehr korrigieren. Es geht einfach nicht. Oder will ich
einfach nicht? Enttäuscht von mir selber setze ich mich ins Seil und
Marc lässt mich wieder zurück auf den Boden. Ja, etwas sehr viel Motivation
hat dieser Fehlversuch schon gekostet.
Unmittelbar vor der Abschlusswand (Danke Chris) |
Nach einer
weiteren guten Pause binde ich mich zum dritten Mal ins Seil für
einen Vorstiegsversuch ein. Alles ist wieder ok. Die Batterien sind
wieder etwas aufgeladen, das Wollen ist wieder zurück und die Route
liegt jetzt auch im Schatten. Langsam mache mich mich auf den Weg.
Die ersten 3 Bohrhaken klippe ich ohne grosse Anstrengung. Jetzt
kommt die schwierige und unübersichtliche Stelle, meine ganz
persönliche Problemzone. Etwas mulmig ist mir schon, als ich den
ersten Move hinlege, doch dann plötzlich läuft es wie von selbst.
Die ganzen einstudierten Sequenzen reihen sich erfolgreich
aneinander. Das Klettern macht höllisch Spass. Seit Monaten habe ich
mich nicht mehr so wohl am Fels gefühlt. Super. Schon bald bin ich
bei der Abschlusswand. Ich weiss, da muss ich nochmals tüchtig Gas
geben. Wie von meinem Trainer vor über 10 Jahren gelernt, nehme ich
die bestmögliche Ruheposition ein und warte so lange, bis mein Puls
wieder ok ist und ich nicht mehr keuche wie ein Ochse auf dem Feld.
Nach
geschätzten 5 Minuten fühle ich mich für den Gipfelsturm bereit.
Die Konzentration ist da, der Wille, die Route zu schaffen ist da.
Das einstudierte Programm läuft ab. Zuerst mit der rechten Hand ein
2-Finger-Loch blockieren. Sauber hinstehen, Gewicht auf die Füsse
bringen. Express klippen. Mit dem Mittelfinger der linken Hand ein
scharfes 2-Finger-Loch und mit dem Ringfinger "auffüllen". Belastung halten. Mit der rechten Hand nun an
einen etwas abschüssigen Griff. Mit dem linken Fuss auf einen
kleinen Tritt, mit rechts auf einen noch kleineren Tritt. Nun mutig
mit der linken Hand hoch an einen weiteren abschüssigen aber guten
Griff. Gewichtsverlagerung einleiten, damit das Gewicht sauber
auf beide Füsse weggestanden wird. Mit der rechten Hand hoch zur linken Hand. Mit
der linken Hand weiter an einen runden Griff. Mit der rechten Hand
nun hochgreifen an einen Griff für das erste Fingerglied.
Körperspannung halten. Nicht mit den Armen ziehen. Mit den Beinen
hochdrücken. Nun mit rechts über Kreuz an sehr guten Griff,
anschliessend mit der linken Hand an nicht ganz so guten Griff knapp
oberhalb der rechten Hand. Die Füsse auf bessere Tritte etwas weiter oben stellen,
Körperspannung halten und doch flexibel bleiben, Körper
durchdrücken und nun mit rechter Hand an Abschlussgriff. Umlenker
klippen. YES! Das war für mich eine der besten Routen seit sehr langer
Zeit.
Ohne die so
positive Aura, den Formel-1 Support und die selbstlose Art von Chris
und Marc wäre aber dieser Erfolg nie möglich gewesen. Daran erkennt
man die wahren Freunde. Euch beiden herzlichsten Dank!
Kommentare
Die Gorges du Court liegt an der Strecke zwischen Moutier und Court. Von Basel aus ist die Gegend in ca. 50 Minuten mit dem Auto zu erreichen. Einfach durch das ganze Laufental, Delémont weiter bis Moutier und von dort Richtung Court. In der Gorges du Court stehen die höchsten Felsen des Juras, so meinte ich gehört zu haben.
Viele Grüsse
Markus