von Markus
Richi
meinte, dass der sicher nach erfolgreichem Durchstieg der "Illusion" zu erwartende
etwas lange Blog-Eintrag mit einem „Yes“ genügend dokumentiert
wäre. Es kam bzw. es ist alles ganz anders.
1977
war ein für den Klettersport geschichtsträchtiges Jahr. In diesem
Jahr kletterten Helmut Kiene und Reinhard Karl durch die „Pumprisse“
im Wilden Kaiser und bewerteten die Route mit VII. Einen wunderbaren
Artikel über die Zweitbegehung, der so im September 1977 in der
Zeitschrift Alpinismus erschienen ist, kann hier gelesen werden.
Bis
zu diesem Zeitpunkt galt 6+ als das Höchste der Gefühle im
Klettersport. Die Definition von 6+ liest sich atemberaubend:
„Mit 6+ wird eine
Freikletterstelle bezeichnet, deren Überwindung für die besten
Felskletterer in Hochform, bei günstigen Verhältnissen (trockener
Fels), unter optimaler Ausnutzung der Felsbeschaffenheit (Griffe,
Tritte, Reibung) und beim heutigen Ausrüstungsstand
(Profilgummisohle) immer einen Gang an der Sturzgrenze bedeutet.
Meist nur auf wenige Meter beschränkt. Im Hochgebirge seltener als
in Klettergärten. Eine Passage im Schwierigkeitsgrad 6+ ist
definitionsgemäss bei winterlichen Verhältnissen ohne zusätzliche
Haken als Fortbewegungshilfen unbezwingbar.“ (Danke Jürgen…)
6+ ist immer noch
schwer zu klettern, auch wenn heute die Skala viel weiter nach oben
geht. Ich selber merke, dass einmal Klettertraining pro Woche
zwingend notwendig ist, um 6a halbwegs klettern zu können.
Am 5.2.1979 klettert
Richi Signer erfolgreich durch die Illusion und bewertet die Route
mit -7. Es ist die erste Route im Basler Jura, welche mit diesem Grad
bewertet wird, eine der ersten Routen überhaupt in der Schweiz in diesem Grad.
Pelzli - Daumen |
Tag 1: 8. Juni 2013
An
diesem Samstag stehe ich das erste Mal seit 35 Jahren wieder unter
der Daumen Ostwand. Sie ist immer noch gleich steil wie in meiner
Erinnerung, sie hat immer noch diesen einen markanten Riss und nun
hat sie auch wunderschöne Bohrhaken. Eine Linie davon ist die
legendäre „Illusion“ von Richi. Es ist ein warmer Tag, fast
schon heiss, also das wohl falscheste Wetter für eine Tour im
Pelzli. Der Wunsch, diese
Tour zu klettern ist aber so gross, dass ich diese Tatsache einfach
ignoriere. Nach etwas Kampf
hängen meine Express, die ich trotz aller meiner deutlich
vernehmbaren Worte immer noch nicht auf ricardo.ch zum Kilopreis
versteigert habe,
in den Bolts
und mir ist klar – wenn ich die Route geschafft habe, dann höre
ich mit Klettern auf, denn dann bin sicher schon in der Generation
70+, gehöre also zur Gattung der Uralt-Jura-Saurier. Sollte ich denn
die Route je schaffen.
Markus
sichert mich bei meinem ersten Top-Rope-Durchgang. Beim ersten Bolt
sind Tritte und Griffe in homöopathischen Dosen vorhanden. Beim
zweiten Bolt ist dann ganz fertig. Keine Ahnung wie das geht und so
bin ich froh, dass das Seil von oben kommt und ich es irgendwie
schaffe mich über die schwere Stelle zu würgen. Bolt Nummer 3 geht
ganz locker
und bis zu Bolt 4 sind keine Probleme sichtbar. Jetzt stehe ich am
Anfang der Schlüsselstelle. Richi hat mir seinerzeit genau
erklärt, wie die Stelle zu
klettern ist. Ich mache genau das, was er mir gesagt hat und kann
mich genau 5 Zentimeter bewegen. „Das wird ein Murks der Obermegaklasse“ denke ich
mir bitte Markus, mich abzulassen. Markus ist nun an der Reihe. Er
findet überall Tritte und
Griffe. Er klettert ohne erkennbare Schwierigkeiten bis zur Crux. Ein
klein wenig Üben und – zack – schon ist er am grossen Henkel.
Mein
entscheidender Fehler an
diesem Tag ist,
dass ich in der prallen
Sonne durch die Route klettere.
Es war einmal mehr meine
Gier, eine Route „umsveregge“ klettern zu wollen, koste was es
wolle, die mich das machen
liess. Es kostete mich
derart viel Haut an
meinen Fingern, dass sie jetzt extrem
berührungsempfindlich sind.
Wir alle kennen das. Deine
Hand geht zum
nächsten Griff und du weisst schon vorher,
wie dich die Schmerzen peinigen werden. Die Folge ist, dass das
Klettern eigentlich eher einem Schmerzverhinderungs-Gang durch die
Hölle ähnlich ist,
denn einem guten Boulder-Durchgang. Weich gekocht gebe ich nach einem
doch überraschend
guten Boulder-Durchgang auf und ich konnte erkennen, dass die
homöopathischen Dosis
an Griffen und Tritten doch
nicht stimmt.
Tag
2: 15. Juni 2013
1
Woche später stehe ich
wieder unter der Illusion.
Markus und Roland klettern in der Illusion, ich aber beherzige einen
Tipp von meinem Mental-Trainer Jürgen und begebe mich hoch zur
Daumen Westwand um den Normalweg zu klettern. Es ist phänomenal,
woran sich das Hirn innerhalb von Sekunden wieder erinnert, obwohl
ich vor 35 Jahren das letzte Mal dort oben gestanden bin. Der
Normalweg ist mit 4a bewertet und heute bestens abgesichert.
Seinerzeit hatte es eine Rostgurke und irgendwann hatte jemand ein
Einsehen und platzierte einen wunderschönen Bolt. Den gibt es immer
noch und verrichtet still und geduldig seinen Job. Ich schaue die
Route an, hänge mir die Express an den Klettergurt und klettere in
wenigen Zügen auf den Gipfel.
Daumen - Normalweg |
Ein
wunderbares Gefühl durchströmt mich, als ich mich rittlings wie
das letzte Mal vor vielen Jahren auf
den Gipfel setze. Frei, losgelöst, einzigartig schön, hoch über
den Baumwipfeln und in diesem Ausmass nur auf dem Daumen in Pelzli zu
haben. Immer wenn ich hier
oben sitze verstehe ich alle Base-Jumper bestens. Es muss ein
atemberaubendes Gefühl sein, sich nun in die Luft zu werfen und
einem Adler gleich der Erde entgegen zu segeln, eins sein mit den
Elementen der Natur, Adrenalin pur, höchste Präzision, eine andere
Dimension.
Als weiteres
Nebenprojekt zur Illusion
klettere ich an diesem Tag
durch die Nordwand des
Daumen. Vor vielen
Jahren habe ich diese Route noch mit Leiterli bewaffnet geklettert.
Heute ist das eine nette Route mit einem etwas schwereren Zug in der
Routenmitte und ist bestens gesichert. An diesem Tag, es ist wiederum
ein schöner warmer und damit viel zu warmer Tag für
das Klettern im Pelzli, bouldere
ich nochmals durch die Illusion. Bis auf die Schlüsselstelle gehen
alle Züge. Nun heisst es, Geduld zu haben und
auf kühle Tage warten.
Tag
3: 11. Januar 2014
Die
Wettervorhersage meint, es werde
12 Grad. Es wurden
nur 8. Der Wetterbericht
meinte, es sei den ganzen Tag trocken. War es nicht!
Zusammen
mit meiner guten Freundin Heike verabrede ich mich für einen Tag im
Pelzli. Ich möchte testen, ob das Training im B2, welches
ich nun schon seit einigen Wochen betreibe,
schon etwas fruchtet. An Silvester gelang mir die Route "Grauzone, 6b" in der Tüfleten, also sollte ich nun eine bessere Figur in der Illusion abgeben. Wir sind ganz allein im Pelzli, sagenhaft.
Offenbar verirren sich wirklich nur noch die
wirklichen Jura-Saurier ins
Pelzli. Die Bedingungen könnten nicht besser sein. Wir klettern via
den Normalweg auf den Daumen und ich hänge beim Ablassen über die
Ostwand das Top-Rope in die Route.
Daumen Ostwand |
Bei der Inspektion muss ich
konstatieren, dass es definitiv keine weiteren
Griffe und
Tritte in der Route gegeben
hat. Heike steigt als Erste
in die Route ein. Fantastisch
wie sie auf Anhieb alle
richtigen Griffe und Tritte ohne
meine Hilfe findet und schon
bald steht sie bei der verflixten Schlüsselstelle. Sie probiert
dies, sie probiert das und nach 3
Minuten hat sie eine offensichtlich ganz einfache Lösung gefunden.
Nun liegt der Ball bei mir. Ich steige ein. Es ist der Hammer. Ich
finde überall Griffe,
die ich letztes Jahr nicht annähernd halte konnte und
an denen ich
mich heute ausruhen
kann. Auch das Tritt-Training im B2 zeigt seine Wirkung und so finde
ich bessere Tritte als bisher und kann diese deutlich besser
belasten. Die Moves gehen
richtig gut und nach wenigen Minuten bin ich bei der Schlüsselstelle.
Das Gebastel geht wieder los. Heike erklärt mir ihre Lösung, welche
ich sofort adaptiere. Und – welch Wunder – einem Engel gleich
schwebe ich über die Schlüsselstelle. Vielleicht sind aber auch nicht
näher erklärbare Mächte zugange und
haben ein Einsehen mit einem alten
Jura-Saurier. Es beginnt
kurz zu regnen und wir wissen nicht, wie nass denn die Route wird. So
entscheidet sich Heike nochmals durch die Illusion zu cruisen und
kann sie problemlos im Top-Rope klettern. Ich kämpfe mich auch
nochmals durch die Route, rutsche auf den nassen Reibungstritten aus
und mache den üblichen Fehler an der Schlüsselstelle und hänge im
Seil. Als Antwort auf das erneute Scheitern stelle ich die ganze
Bewegungssequenz an der Schlüsselstelle einfach
um und siehe da, auch ohne
ausserirdische Hilfe kann ich die Stelle klettern.
Wir
klettern auf den Kleinen Daumen und Heike begutachtet die Anarchia.
Auch hier – fantastisch wie sie nach ein klein wenig Üben die
richtigen Griffe und Tritte findet. Ich mag mich noch gut an meinen
Trip mit dem jungen Jura-Saurier durch die Anarchia erinnern. Ohne
Flaschenzug-Hilfe wäre ich vom Überhang nie
weggekommen und wäre
höchstwahrscheinlich des Hungers verstorben.
Anarchia an der Südwand des Kleinen Daumens |
Ich
entscheide mich, einen Vorstiegsversuch in
der Illusion zu unternehmen.
Aber - da macht mir die einbrechende Dämmerung einen Strich durch
die Rechnung. Alte Jura-Saurier sehen in der Dämmerung nicht mehr so
scharf und deshalb entscheide ich mich schweren Herzens nochmals für
einen Top-Rope-Durchgang. Alles läuft perfekt. Die Unterarme sind
vor der Schlüsselstelle schwer gepumpt, trotzdem ziehe ich durch und
kann das erste Mal die Route im Top-Rope durchsteigen.
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