von Markus
Die Kurzform dieses Eintrags speziell für Richi: Yes!!
Bereits
die ganze Woche bin ich etwas nervös. Ich weiss, dass ich die
„Illusion“ klettern und mir damit einen 35 Jahre währenden
Wunsch erfüllen kann. Ich weiss auch, weshalb ich so nervös bin.
Diese Route bedeutet mir so extrem viel. Sie bildet für mich die
Brücke zwischen meinen beiden Kletterleben und es ist für mich
extrem wichtig über diese Brücke zu gehen. Es ist aber auch das
Alter, welches mir aufzeigt, dass ich all die aufgeschobenen Projekte
nun endlich erledigen muss. Besser werde ich wohl kaum mehr. Heute,
am 18. Januar nach vielen Irrungen und Wirrungen in meinem Leben
halte ich alle notwendigen Puzzle-Teile in der Hand. Es liegt einzig
und allein an mir, die Teile zu einem vollkommenen Ganzen zusammen zu
setzen. Für mich ist auch der Zeitpunkt wichtig. Gemäss Fluebible
hat Richi die Route am 5. Februar 1979 geklettert, also vor ziemlich
genau 35 Jahren!
Stündlich
schaue ich auf die Wettervorhersage. Das Angebot ist breitgefächert
und geht von strahlend schön bis Schneefall. Ich brauche lediglich
ein Zeitfenster von vielleicht 3 Stunden um alles unter Dach und Fach
zu bringen.
Illusion - Route 12 (Foto aus der Fluebible) |
Wir
treffen uns spät auf P Angenstein und
stehen
wenig
später unter der Daumen Ostwand. Eine
unglaubliche Nervosität überkommt mich und
es hämmert immer die gleiche Frage: Klappt es heute?
Es
kommt ein kühler Wind auf, die Sonne mag nicht richtig wärmen. Es
ist etwas kühl. Zu
kühl? Oh,
das wäre doch eine schöne Ausrede, die Route nicht klettern zu
müssen!
Schon
bald hängen die
Express in der
Wand.
Ich entscheide mich, nochmals einen Erkundungsdurchgang durch die
Route zu machen. Es ist nachmittags um etwa 14 Uhr und endlich wärmt
die Sonne etwas während
ich
in
der Wand hänge.
Der Grip ist sensationell, die Wand ist komplett trocken, es
herrschen ideale Bedingungen. Ab dem dritten Bolt spüre ich weder
meine Finger noch meine Zehen
und trotzdem klettere ich weiter. Ich kenne ja die Griffe und Tritte
auswendig und ich weiss, wie viel ich halten mag und wie viel Druck
ich auf die Füsse bringen muss um nicht abzurutschen. Das
ist Klettern
auf Sicht in
etwas anderer Auslegung des Begriffs.
Die Schlüsselstelle geht auf Anhieb, alles kein Problem, alles im
grünen Bereich. Und trotzdem werde ich immer nervöser. Mein Hirn
findet mindestens 50 Ausreden, heute diese Route nicht zu klettern.
Nach
einer Pause mit viel heissem Tee
ist
es soweit. Der
Wind
wird
wieder stärker, die
Sonne verschwindet nun
definitiv
hinter
dichten Wolken und
die Temperatur
sinkt. Ich
muss mich sofort entscheiden, sonst erfriert meine
Sicherungspartnerin.
Ich begebe mich an den Start der „Illusion“, ziehe das Seil ab,
binde mich ein, bereite mich für den Vorstieg vor.
Vor
vielen Jahren habe ich von Dominik den Tipp erhalten, beim Klettern
sich via Musik zu konzentrieren um der Nervosität Herr zu werden und
um die Konzentration zu erhöhen.
Ich mag mich noch gut an meine erste 6c+ erinnern. Dabei sicherte
mich Dominik und ich summte für mich den Song „Engel“ von
Rammstein vor mich hin. Was heisst da summte? Ich sang immer wieder
den Refrain „Gott weiss ich will kein Engel sein“. Seither fehlen
ein paar Bäume in der Bettlerküche. Aber das ist ein anderes Thema.
Der Tipp von Dominik hat genützt und ich konnte die 6c+ in
meinem zweiten Versuch
klettern. Was vor vielen Jahren genützt
hat, wird doch auch dieses Mal etwas bringen,
denke
ich mir in
der Vorbereitungszeit bis zum 18. Januar. Weil
ich ja weiss, wie wichtig mir die „Illusion“ ist weiss ich auch,
dass ich wohl vor Nervosität zittern werde. Die
ganze Woche habe ich mir über einen Song Gedanken gemacht und am
Mittwochabend, etwas mitgenommen von viel
Champagner, Wein
und Bier auf dem Nachhauseweg von Bern, habe ich den richtigen Song
gefunden. Es muss Heavy Metal sein, es muss laut sein, es muss hart
sein, es muss fordernd sein. Es ist der Song „The
Devil Cried“
von Black Sabbath. Der Song ist auf der CD „The Dio Years“ zu
finden und
natürlich auf Youtube (Andreas: das wäre jetzt der
Song, den wir schon mal zusammen gesucht haben).
So
stehe ich nun einmal mehr in meinen geliebten, jetzt
etwas
zu satt gebundenen Five Ten blanco etwas belämmert in die Gegend
schauend und nicht wissend was kommen wird am Anfang der „Illusion“.
Ein letzter Kontrollblick – Ready,
Steady,
Go.
Song
ab:
One
fine day in Hell
The master told a story
Someone lied so well
He sent him back to Glory
The master told a story
Someone lied so well
He sent him back to Glory
Glory
– genau. Das möchte ich auch mal wieder haben. Also muss ich
kämpfen. Die ersten Moves gehen überraschend gut. Die Nervosität
ist weg. Vor dem dritten Bolt gibt es einen sehr guten No-Hand-Rest. Diesen
benutze ich intensiv, währendem Ronnie James Dio die zweite Strophe
singt
There are whispers between the screams
That this deed can be done
Even sinners must dream
And I can be the one to make the Devil cry
Die
zweite Strophe ist vorbei, ich bin vollkommen konzentriert und
ruhig.
Die dritte Strophe beginnt.
I can win this game
If all things come together
I know this sounds quite strange
I won't be smart, just clever
Just
beim
Wort "clever" habe ich die heikle Stelle über den dritten Bolt sauber
geschafft und stehe nun etwas verloren in der Wand. Zu einfach ist
diese Stelle gegangen, viel zu einfach. Deshalb kann ich die
nun
folgende Strophe locker
angehen und etwas umständlich zum vierten Bolt klettern. Meine
Sicherungspartnerin motiviert mich zusätzlich. Sie glaubt an mich
und feuert mich zusätzlich an.
It's the law on the other side
Just one tear lets you run
And though many have tried
I know I'll be the one to make the Devil cry
Ich
stehe nun exakt unter der
Schlüsselstelle.
Ich weiss, ich kann diese nächsten für
mich sehr
schweren Meter klettern. Noch mehr Fokussierung
auf die Füsse, die Fingerspitzen werden langsam kalt. Da
beginnt auch
schon
die nächste Strophe in meinem Hirn zu hämmern und lässt mir keine
Chance. Ich muss tun, was kommt.
At last my time has come
I must not give him pleasure
I can be
the one
One chance or burn forever
One chance or burn forever
Im
Gegensatz zum Songtext ist es ein Vergnügen die
Schlüsselstelle zu klettern. Die Moves gehen wunderbar, alles geht
ganz locker. Diese Chance habe ich genutzt. Es bleibt der allerletzte
Move an die Kante. Wie bereits beim Ausbouldern mehr als einmal
passiert, rutschen mir die Füsse weg und ich hänge etwas verkrampft
am grossen Henkel und sortiere die Füsse.
So
I told him about my pain
And the life I've been through
He just smiled and the laughter came
Then I told him that I love you, and the Devil cried
And the life I've been through
He just smiled and the laughter came
Then I told him that I love you, and the Devil cried
Ich setze zum letzten etwas wackligen Zug an und schon stehe ich beim Umlenker. Erleichtert klinke ich diesen ein.
Tears from his eyes
Eyes of fire
And the Devil cried
Ob
nun der Teufel weint, das weiss ich nicht. Ich bin es auf jeden Fall
nicht, der weint, sondern sich unendlich freut. Ein
unbeschreiblich schönes Gefühl
durchflutet mich. Ich habe die „Illusion“ geklettert, fehlerfrei
alle Puzzle-Teile richtig zusammengesetzt. Entgegen meiner
allerersten Einschätzung gehöre ich nun doch nicht zur Generation
70+ und werde definitiv auch nicht die Express zum Kilopreis auf
ricardo.ch verkaufen. Nein, ich werde mich
völlig losgelöst an neue Projekte wagen und wissen – it's all in
your mind.
Ich
bin mir nicht sicher, ob ich mich richtig erinnere. Der Routenname basiert nicht auf der normalen umgangssprachlichen Illusion,
sondern auf einem Buch(?)
von Carlos
Castaneda. Ich frage mal Richi, wenn ich ihn dann wieder einmal im B2
sehe.
Bewertung der Illusion (Foto aus der Fluebible) |
Wenn
ich mich ins Jahr 1979 zurückversetze und nachdenke, was, wie und
warum ich seinerzeit geklettert bin, so stellt für mich heute die
„Illusion“ ein wirklicher Meilenstein dar. An dieser
Stelle möchte ich Richi für seine Weitsicht im 1979 danken, uns
Kletterern ein solches Denkmal zu schaffen und dem seinerzeitigen
Establishment schlicht den Vogel zu zeigen! Super.
Herzlichsten
Dank auch an meine Mitstreiter Markus, Roland, Jüschi, Heike und
Andrea, welche mich mit ihrer unendlichen Geduld diesen Traum
haben wahr werden lassen. Und nicht zu vergessen der junge
Jura-Saurier, der mich mental bei unseren gemeinsamen
Trips
an
die Parois des Romains
wieder auf Vordermann gebracht hat!
Kommentare
der Name ist einem Buch von Richard Bach (Möve Jonathan) nach empfunden. In seinem zweiten Buch "Illusionen" (ziemlich esoterisch) beschreibt er , wie es möglich ist mit einem starken Willen selbst durch Wände gehen zu können (???) Soweit ich mich erinnere, ist ja auch schon 35 Jahre her und dann kam ja die ANACHIA... allez.. Gruss Richi
Eine Illusion ist nicht unbedingt das was man sieht, vielmehr lediglich das was man sehen will. Ist es also der Wille der Realität erst möglich macht? Es wäre aber illusorisch zu sagen, es gäbe in der Realität keine Illusionen. Aber, Markus, es fühlt sich bestimmt gut an, wenn wenigstens diese 'Illusion' zur Realität geworden ist, gell?