von Chris
(Hexe:) Doch wenn es
dieser Mann unvorbereitet trinkt, / So kann er, wisst ihr wohl, nicht eine
Stunde leben. / (Mephistopheles:) Er ist ein Mann von vielen Graden, Der
manchen guten Schluck getan…
E rhalte dich und deinen
Sinn / In einem ganz beschränkten Kreise, / Ernähre dich mit ungemischter
Speise…
Ja, ja… Die Botschaft hört' ich wohl… Da unterscheide ich mich wesentlich von Faust,
der lieber auf den Hexentrank setzt… Mit dem Teufel lass ich mich da nicht ein…
Doch wenn ich für ein Ziel motiviert bin, dann aber auf Teufel komm raus… Also
schaue ich selber nach meiner Gesundheit sowie Inspirations- und Kraftquelle
für ein wunderbares Kletterziel am Limit!...
So muss denn doch die
Hexe dran…
Klar!... Viel hatte ich von ihr - der 'Hexenküche' - gehört… Es musste sein… Zu Recht ein
moderner Klassiker!... Doch was würde dieses Abenteuer für mich bereithalten?
Nein, Dr. Faust bin ich nicht, der nach dem Pakt mit Mephisto in der Hexenküche der Gretchentragödie und dem Verderben zusteuert… Die 'Hexenküche'
in Gimmel war bestimmt auch nicht meine Verjüngungskur wie für Faust der Trank
bei der Hexe… Doch hatte ich mich in der Route als nicht mehr ganz so taufrischer
Mann zumindest wie ein Junger zu gebaren…
Gimmel... |
Meine ersten Versuche 2010 und 2011 waren zum Scheitern verurteilt… Die
Hexe in 'Faust' sagt es richtig: ohne Vorbereitung gibt es nur ein Scheitern… 8b+
Resistance an konstant abschüssigen Leisten im Megaüberhang war einfach too
much… Ist halt nicht mein täglich Brot… Doch, der Beschwichtigung von Mephisto
folgend, wollte und durfte ich mich auf meine Erfahrung der vordem bereits über
zweihundert durchstiegenen französischen Achter verlassen… Was braucht es?
Grundlage! Ein Gefühl von im Kletterfluss sein!... Eigentlich hatte ich es
aufgegeben, das Hexlein… Aber was für eine Frechheit: auf der neuesten Edition
des Schweiz Extrem I prangert als
Titelbild das Hexlein… Und dieses Topo lag eines Morgens neben meinem Kaffee
auf dem Frühstückstisch! Nicht zum Aushalten! Ein Weckruf, es dieses Jahr doch
noch einmal zu versuchen…
Bild mit Symbolcharakter - die Hoffnung stirbt zuletzt |
Muss’ ich an diesem
hingestreckten Leibe / Den Inbegriff von allen Himmeln sehn? / So etwas findet
sich auf Erden?
Unglaublich, das Gimmel… Der Felsriegel, die Qualität der Climbs, die Lage,
die Ambiance… Anspruchsvoll, gewiss!... Nichts zum schnell "abknipsen"…
Was seh’ ich? Welch ein
himmlisch Bild / Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
Genau… Das ist die Hexenküche… Mit dem offensichtlichen Schild in der
oberen Hälfte beim Anblick vom Zustieg die erste auffällige Linie…
Versprichst du mir, ich
soll genesen, / In diesem Wust von Raserei? / Verlang’ ich Rat von einem alten
Weibe?
Keine Frage, Gimmel liegt schon etwas (zu) weit von Basel… Immer diese
knapp zwei Stunden rasender Autofahrt… Ein Weg!... Oft verstopft die einspurige
Strasse Spiez-Interlaken und als wäre es nicht genug, langsame Tourifahrer im
Lauterbrunnental… Dann der Druck des Fahrplans der Téléférique… Telepathie als
Anreisemethode wäre mir lieber… Wann endlich können wir uns beamen?... Wie viel
Motivation und Hingabe es für das Ziel braucht…
Kann ich sie nur als
wie im Nebel sehn! – / Das schönste Bild von einem Weibe! / Ist’s möglich, ist
das Weib so schön?
Oh ja, wie oft standen wir im Nebel… Gimmel Aficionados scheinen es wissen
zu wollen…
Oh Liebe, leihe mir den
schnellsten deiner Flügel / Und führe mich in ihr Gefild!...
Der Dyno, der Dyno… nach den schnellsten Flügel für diesen akrobatischen
Zug suchte ich lange… die Gefilde, zu denen ich geführt werden wollte, war der
Henkel, der letzte (kurze und anstrengende) Ruhepunkt unter dem finalen Dach…
Ach wenn ich nicht auf
dieser Stelle bleibe, / Wenn ich es wage nah’ zu gehen…
Aber an dieser Stelle blieb ich kleben…
Die Leisten zu rund und zu abschüssig… Mit der linken Hand dieses
kugelartige Gebilde, mit der rechten ein Sloper für das halbe erste Fingerpad
ins Nirgendwo… Zum Glück gibt es dort einen Boulderbolt, den du beim Durchstieg
gar nicht klippst… Aus dem Hängen, erholt und auf die beiden Griffe fokussiert,
gelang mir die Stelle auf die unterschiedlichsten Methoden - immer mit dem Ziel,
eine machbare, statische Lösung zu finden… Unglaublich, wie viele verschiedene
Varianten ich fand, mit Hooks und ohne, mit Eindrehen und ohne etc…
Unglaublich, wie keine der statischen Lösungen mich auch nur ein bisschen dem
Durchstieg näher brachten… Also, doch der Dyno… Mit Zwischenleiste? Hoch stehen
und eindrehen? Keine der Moves stimmig… Unmöglich, ganz tief unten zu stehen
und von dort zu springen… Denn das wäre ein richtiger Dyno… Und für mich vom
Kopf her nicht umsetzbar… Crux!... Ganz deutlich war für mich hier dieser
Begriff in seiner tiefen Bedeutung erlebbar… Ich wusste, ich muss hier eine
persönliche Methode finden… Was Andere zu halten vermögen und an klassisch
gewordenen Varianten herausgefunden haben, klappt für mich, meinen Stil und
meine Finger einfach nicht…
Die Hohe Kraft / Der
Wissenschaft, / Der ganzen Welt verborgen! / Und wer nicht denkt, / Dem wird
sie geschenkt, / Er hat sie ohne Sorgen...
Und dann doch: es ging als richtiger Dyno vom tiefstmöglichen Punkt… Seltsam
genug!... In einem unscheinbaren Moment… Völlig intuitiv und mit einem doch
über Jahrzehnte geschärften Instinkt liess ich meinen Körper bestimmen, welche
Position die richtige ist… Dieser Move verlangt aber einen Zwischengriff dort, wo
keiner ist… Mit meiner grossen Hand fand ich Unregelmässigkeiten, die ich als
Zange so zwischenfixieren kann, dass mein Körper beim Absprung die richtige
Achse erwischt… Den Zielgriff nicht mit nach hinten gekippten Kopf anvisiert,
sondern der Kopf nahe an der Wand, von der Balance vorteilhaft nach unten
geschaut und den Henkel intuitiv angesprungen… Die Inspiration für die Lösung nicht
durch Analyse des Problems, sondern durch Aufgehen im Problem an sich… Zen?…
Kinästhetisches Bewusstsein, John?...
Am 28. September war es so weit… Ein Durchstieg in einem Fluss, nahe der
von mir angestrebten Perfektion… Mental und physisch... Kein Pump, pure
Bewegung, kein Gedanke abseits der gestellten Aufgabe… Da habe ich mich in den
inneren Kreis des reinen Seins hineingearbeitet… Ein grossartiger Moment und eine
wunderbare Erfahrung!
Danke an alle meine Begleiter, für Eure Geduld beim Ausbouldern
und den positiven Geist, an das Ziel und die Möglichkeit zu glauben! Tina,
Sämi, Andy, Dominic!
(Anmerkung, wem's noch nicht
aufgefallen ist: die Zitate stammen aus J.W. von Goethe's 'Faust I', Szene
'Hexenküche')
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