von Markus
"Schreibst du noch etwas über den Albatros?" fragte mich letzten Samstag Marc, als wir zusammen an einem grauen, nebligen und kalten Tag einmal mehr an der Schauenburg waren. Ganz spontan antwortete ich "Ja". Dabei wusste ich, dass ich nichts zu schreiben hatte. Dass nun dieser Aufsatz auf verticalsoul zu lesen ist, ist einzig Marc zu verdanken. Denn eigentlich wollte ich nichts über "Albatros" schreiben. Was war an dieser Begehung denn so speziell? Nichts. Es fällt mir nichts dazu ein, was den wirklichen Unterschied ausmachte.
"Schreibst du noch etwas über den Albatros?" fragte mich letzten Samstag Marc, als wir zusammen an einem grauen, nebligen und kalten Tag einmal mehr an der Schauenburg waren. Ganz spontan antwortete ich "Ja". Dabei wusste ich, dass ich nichts zu schreiben hatte. Dass nun dieser Aufsatz auf verticalsoul zu lesen ist, ist einzig Marc zu verdanken. Denn eigentlich wollte ich nichts über "Albatros" schreiben. Was war an dieser Begehung denn so speziell? Nichts. Es fällt mir nichts dazu ein, was den wirklichen Unterschied ausmachte.
Es war kein Heavy Metal
nötig. Es waren keine Räucherstäbchen für das Abdriften in höhere
Sphären, keine weissen Linien, auch keine Aufputschmittel im Tee
notwendig. Ich musste keine extraharte Diät durchziehen. Selbst über
die Temperaturen konnte ich mich nicht beklagen. Es war einfach ein
schönes und intensives Projekt, dass ein gutes Ende gefunden hatte.
Damit wäre alles gesagt.
Und doch gibt es diesen
einen ganz grossen Unterschied zum Durchstieg von "Fehlalarm".
In der Retrospektive und beim Schreiben dieser Zeilen wird mir klar,
was den Unterschied ausmachte. Dafür muss ich nun doch etwas über
den „Albatros“ schreiben und die Lösung kann ich (leider) erst
viel weiter unten verraten.
Etwas jammern muss
sein, auch dieses Mal. Bald feiere ich wieder meinen Geburtstag und
dieses Mal mit einer Doppelzahl auf dem Zähler. Langsam aber ganz
sicher realisiere ich, dass mir zwar noch Zeit bleibt, jedoch nicht
mehr so viel, um all die Dinge zu tun und zu erledigen, die ich noch
zu tun gedenke. Jetzt ist nicht mehr Quantität angesagt, sondern
Qualität. Die Erholungszeit zwischen den Einsätzen, sei es am Fels
oder am Plastik, sie dauert einfach länger. Ich bin mir auch
bewusst, dass diese Tendenz eher zu- als abnehmen wird.
Qualität ist das
Stichwort für 2015 und wird es weiterhin bleiben. Fokussierung auf
Qualität, auf Routen, die ich selber als sehr schön empfinde und
auch meinem Kletterkönnen entsprechen, keine mühsamen und
unlohnenden Hausaufgaben mehr. Ich zitiere hier gerne Dominik,
welcher ganz zu Beginn meiner Kletterkarriere über das
Projektklettern in etwa folgendes gesagt hat: "Du muesch di
fascht e bitzeli in e Route verliebe. Das wird dir helfe, immer
wieder an die Route z gho."
Dieses Verlieben
geschah vor vielen Jahren bei "Via Kathrin", die ich
endlich in diesem Jahr erfolgreich klettern konnte (sh.
"Durststrecke"). Dazu gehörte auch "Gummiadler",
eine Route, welche ich vor ziemlich genau 1 Jahr kletterte (sh.
"Gummiadler"). Natürlich gehört "Fehlalarm“ (sh.
„The Good, the Bad and the Ugly“) zu diesen Routen, jedoch hat
mir exakt diese Linie in aller Deutlichkeit wieder ins Bewusstsein
gerufen, dass Liebe eine Rose mit ganz vielen Dornen sein kann, die
sich schmerzhaft ins Fleisch bohren können. Als ob ich das nicht
schon vorher gewusst hätte.
Nach dem Durchstieg von
"Fehlalarm", war bei mir die „Luft draussen“. Ich war
geistig müde und ich war auch körperlich sehr, sehr müde. Zudem
begann ein schöner und warmer Sommer seinen Anfang zu nehmen und für
mich war klar, dass ich so schnell nicht mehr werde schwer klettern
können und müssen. Nach "Fehlalarm" war Roland und mir
bewusst, dass im Herbst nun "Der Flug des Albatros" als
nächstes Projekt anstand. "Der Flug des Albatros" zieht
dort in direkter Linie hoch, wo "Fehlalarm" leicht nach
links ausschwenkt (exakt nach The Good). "Der Flug des Albatros"
ist eine atemberaubende rund 34 Meter hohe Route an der
Schauenburgerfluh, bestens gesichert, kaum Begehungsspuren und mit
6c+ bewertet. Dieses + nach dem c liess uns beide etwas nervös
werden, doch in unserem Übermut wussten wir gleich zu Beginn, dass
wir die Route werden klettern können. Vor über 4 Jahren kletterte
ich zum letzten Mal eine Route in diesem Schwierigkeitsgrad, wobei
die damalige Route nicht höher als 12 Meter ist und ich die +-Stelle
immer noch suche. Die neu zwingende Auslegeordung bezüglich Qualität
ergab: schön und lang, nicht steil, schönes und einfach zu
erreichendes Klettergebiet, bestens gesichert, Schwierigkeitsgrad:
Limit
Es ist wie immer: ich
habe keinen blassen Dunst, wie ich denn je die Schlüsselstelle
werde klettern können und Roland kommt mit einer fix fertigen Lösung zurück.
Dennoch, es ist da. Dieses gute Gefühl an einer Route zu arbeiten,
die wirklich gefällt. In ungewohnt kurzer Zeit haben wir die Lösung
für alle Problemstellungen gefunden. Unvergleichlich schnell gehen
wir in den Vorstieg. Ich mag mich noch gut an meinen ersten Go am 3.
Tag in der Route erinnern. Alles klappt perfekt. Ich sehe mich schon
den Umlenker klippen. Dann kommt die Schlüsselstelle und dort straft
mich mein Top-Ropen in der Route brutal. Ich weiss genau, wie ich den
nächsten Zug machen muss, der fehlende minimale Zug des Top-Rope
durchströmt mich mit einer ganz grossen Unsicherheit und lässt mich
scheitern. Ganz im Gegensatz zu „Fehlalarm“ hadere ich nicht mit
meinem Unvermögen. Ein seltsames Vergnügtsein verdrängt den
unbedingten Durchstiegs-Willen. Alles fühlt sich gut an. An diesem
Tag bouldere ich eine komplett neue Sequenz aus und eines muss ich
definitiv feststellen: meine Kraft und mein Können reichen gerade,
dass ich mich an der Schlüsselstelle halten kann. Es geht weder
aufwärts, noch geht es abwärts. Die Lösung: mehr Power. Auch bei
der Ausrüstung muss ich feststellen, dass meine heiss geliebten Five
Ten Blanco das End of Lifecycle erreicht haben. Damit meine ich, dass
der Schuh zwar noch absolut ok ist, jedoch seit Neuestem schneidet
mir der Schuh derart in die Ferse, dass ich absolut gefühllose Füsse
bekomme. Selbst wenn ich die Schuhe nicht binde, werden meine Füsse
taub. Im Nachhinein weiss ich, dass die tauben Füsse während des
Durchstieges von „Fehlalarm“ das Hauptproblem waren. Nachher ist
man immer schlauer...
Petrus meint es gut mit
uns und so können wir die Schwäche der fehlenden Kraft im B2
wegtrainieren. Schon bald spüre ich Fortschritte. Der
Tennis-Ellbogen schmerzt mich immer noch, rede mir jedoch ein, dass
der Schmerz der Indikator dafür ist, dass der Arm noch am Körper
ist - sonst wären es ja Phantom-Schmerzen. Auf der Hardware-Seite
tut sich auch sehr Erfreuliches. Der Five Ten Blanco wird nicht mehr
hergestellt, also greife ich zum neuen Pinky von Five Ten, der für
mich beste Schuh aller Zeiten!
Bei nächstmöglichen
Mal stehen wir wieder unter der Route. Dieses Mal haben wir mehr PS
im Gepäck und auch neue Schuhe. Die Express hängen nach kurzer Zeit
wieder in der Route und kurz darauf klettere ich mit den neuen
Schuhen durch die Wand. Sagenhaft, was sich da abspielt! Ich weiss,
es wird ein wundervoller Go durch die Route werden. Es stellt sich
einzig noch die Frage, wann ich das Kunststück schaffen werde.
Vielleicht bereits beim nächsten Besuch?
Es ist Samstag, der 3.
Oktober 2015. Wie immer hole ich Roland in Basel ab und ziemlich
genau 45 Minuten später stehen wir unter der Route. Die Bedingungen
könnten nicht besser sein. Noch liegt die Route in der Sonne,
deshalb ist an ein Go nicht zu denken. Ich hänge die Express in die
Route und überprüfe nochmals die Schlüsselsequenz. Noch mehr Power
ist da!
Roland klettert ein
letztes Mal im Top-Rope durch die Route und dann gibt es keine
Ausreden mehr. Angriff! Ich steige ein, klettere locker bis zur
Schlüsselstelle. Ich bin seltsam ausgeruht. Einmal mehr verkaufe ich
das Fell des Bären, bevor er erlegt ist. Ich beginne mit der
einstudierten Lösung, alles passt perfekt, doch dann passiert mir
exakt der gleiche unnötige Fehler wie in "Fehlalarm". Ich
treffe mit dem linken Fuss den vorgesehenen Tritt nicht, schwanke
daher etwas und aufgrund der sehr schlechten Griffe, kann ich diesen
Fehler nicht korrigieren. Sanft vom Seil aufgefangen lache ich voller
Vergnügen über diesen Fehler. Denn ich darf noch mindestens einmal
durch diese fantastische Route klettern. Es kehrt keine
Unzufriedenheit ein, alles ist perfekt und ich bin glücklich.
Um 16:55 des gleichen
Tages steige ich nochmals in die Route ein, mein 2. Go. Hatte ich bei
"Fehlalarm" noch richtig souveräne Cheerleader bei mir und
beim heutigen 1. Go herrliche Ruhe, so habe ich jetzt lediglich 4
schreiende kleine Kinder um mich herum. Das ist jetzt nicht gerade
meiner Konzentration förderlich. Normalerweise hätte ich giftig
nach unten gerufen endlich mal die Klappe zu halten, dieses Mal
nicht. Klar und deutlich höre ich das Gequengle und normalerweise
müsste jetzt Heavy Metal die Lärmsituation korrigieren. Ich brauche
keinen Heavy Metal. Schon bald bin ich bei meinem zweiten No-Hand
Rest und schaue hinunter zu Roland. Ich schaue in verzweifelte Augen,
denn ein freundlicher Kletterer hat sein Seil einfach über unser
Seil geschmissen und kümmerte sich nicht darum, was denn da oben bei
mir so abläuft und wie mühsam Roland plötzlich sichern muss.
Ignoranz at its best, völlige Respektlosigkeit. Doch seltsamerweise
beunruhigt mich auch dieser Umstand überhaupt nicht. Ich rufe Roland
zu, er solle doch bitte einfach das Seil so hinlegen wie es perfekt
für ihn passe und er solle sich alle Zeit der Welt nehmen.
Denn ich stehe an einem
Ort an der Schauenburgerfluh, den ich nie mehr vergessen werde. Hoch
über den Bäumen sehe ich weit ins Land. Ganz weit hinten sehe ich
einen sehr grossen Vogel ruhig seine Kreise ziehen. Auf den
Baumwipfeln gleich nebenan sehe ich Raben, die sich zwar nicht
sonderlich für mich interessieren, jedoch mich klar und deutlich
ansehen. Die Raben krächzen miteinander und erzählen sich wohl
einen Witz über Menschen, die an Felsen hochklettern. In meinen
Gedanken erlebe ich nochmals den Moment vor wenigen Minuten, an dem
im absoluten Tiefflug die Super-Conny quer vor der Schauenburgerfluh
durchflog. Ein wundervolles Flugzeug mit ganz viel Stil und Klasse
und dem entzückendem Sound von 4 Sternen-Motoren. Ich stehe da, ruhe
mich aus bis der Puls wieder ganz normal ist und überlege mir,
welche Bedeutung Fliegen für uns Menschen hat. Vielfältig sind die
Antworten. Es wird mir auch ganz klar, weshalb diese Route "Der
Flug des Albatros" heissen muss *). Ganz oben, man kann schon
fast in den Umlenker beissen, gibt es nur noch Seitgriffe. Als
Kletterer stehst du da, ziehst gleichzeitig mit der linken und der
rechten Hand in maximaler Griffdistanz - ähnlich einem Albatros mit
weit aufgeschlagenen Schwingen – an Minigriffen, nur um das
Gleichgewicht zu halten. Ein winzig kleiner Fehler, ein Bruchteil
einer Sekunde ohne Körperspannung und der Name der Route wird zum
Programm.
So könnte ich noch
lange dastehen und mich dem wundervollen Sein hier oben widmen und
meinen Gedanken nachhängen. Von Bad Schauenburg her erklingen
plötzlich Alphörner. Wenn das nicht der ideale Auftakt zum
Weiterklettern ist? Sorgfältig kontrolliere ich die Situation, hole
bei Roland das OK ab und klettere weiter. Zug um Zug passt nahtlos
zueinander. Vor der Schlüsselstelle ruhe ich nochmals ganz kurz um
frisch und ausgeruht die Schlüsselsequenz klettern zu können. Alles
geht erschreckend einfach und nach wenigen Sekunden hänge ich -
einem Albatros gleich - kurz vor dem Umlenker. Konzentration auf die
Körperspannung! Die Moves sind einfach, bricht jedoch die
Körperspannung ab, dann ist Flugwetter. Eine letzte Anstrengung und
ich bin beim Umlenker. Geschafft. Ich bin in dem Moment der
glücklichste Mensch auf dieser Welt. Um 17:22 habe ich wieder
festen Boden unter den Füssen. Die vergangenen knapp 30 Minuten sind
in ihrer Brillanz und Klarheit nicht zu überbieten und werden immer
in bester Erinnerung bleiben.
Doch, was ist nun der
Unterschied zwischen "Fehlalarm" und "Der Flug des
Albatros"? Sind es die zusätzlich antrainierten PS? Sind es die
Schuhe? Sind es die besseren Bedingungen? Nein, es ist etwas, was ich
so noch nie erlebt habe und vielleicht zu den guten Dingen des
Alterns gehören. Eines Morgens wachte ich auf und es war einfach
plötzlich da: das gute Gefühl der tiefen Zufriedenheit. Mit dieser
Zufriedenheit tief in mir drin entwickelte ich eine ganz andere
Herangehensweise an das Projekt. Die mir eigene Verkrampfung während
der Projektarbeit wich einer Freude, sich mit dem schönsten Sport zu
beschäftigen. Die Freude wiederum war die Basis für eine noch nie
gekannte Leichtigkeit, Fröhlichkeit und Lockerheit. Es ist wie bei einem
Puzzle. Plötzlich fügen sich alle vorher wild verstreuten Teile
nahtlos und ohne Anstrengung zusammen. Es liegt nun an mir ganz
allein, diese Zufriedenheit nicht mehr zu verlieren.
Der Blutmond vom 28. September (Danke Basil) |
Oder waren es doch die
Auswirkungen des Blutmondes vom 28. September? Die letzte
Supermondfinsternis fand 1982 statt und ich habe sie irgendwie
verpasst. Das nächste Mal ist es 2033 soweit. Dann bin ich schon 8
Jahre in Pension und es wird wohl Wolken haben. Ich bin mir ganz
sicher: der Blutmond war's.
Für den Chronisten:
Roland kletterte am herrlichen Mittwochnachmittag des 8. Oktober bei
besten Bedingungen ebenfalls fehlerfrei durch die Route. Herzliche
Gratulation!
*) Es wäre sehr schön zu
erfahren, weshalb die Route gerade so "Der Flug des Albatros" benannt wurde. Die Interpretation des Namens in diesem Blog ist meiner Fantasie entsprungen.
Kommentare
Herzliche Gratulation zu deinen Climbs!