Trilogie + 1: Erster Streich

von Markus

Ich klettere sehr gerne in Mehrseillängen-Routen. Das gibt mir das Gefühl, etwas für mich Bedeutsames zu bewirken. Es ist wirklich wunderschön, gut gesichert an einem bequemen Stand zu stehen und den Kletterpartner entweder im Nachstieg zu sichern oder ihm im Vorstieg die volle Konzentration zuteilwerden zu lassen. Das Abenteuer ist allgegenwärtig, im Vorstieg ist alles onsight und immer ist Rechenschaft darüber abzugeben, ob alles okay und sicher ist. Es ist entscheidend zu erkennen, wie sich die Gesamtsituation darstellt.

In meinen bevorzugten Klettergebieten im Basler Jura gibt es nun nicht die Art von Mehrseillängen-Routen, die ich bisher suchte. Über Jahrzehnte war es klar für mich, dass es so etwas in unserer Gegend nicht gibt. Das sollte sich ändern, als ich mit Chris häufig in der Gorge du Court kletterte und er mir die Augen für tolle Anstiege öffnete. Ganz schnell türmten sich meine Kletterwünsche zu einem riesigen Berg, doch hatte ich keine Ahnung, nicht den Hauch einer Idee, wie ich denn diese Ziele je erreichen sollte. Alle Kletterer, die ich kenne, die klettern in einem Bereich, der im positiven Sinne so weit weg von mir ist, dass ich mich nicht traue, sie auf meine Pläne anzusprechen. Vielleicht ist das auch nur eine falsche Scheu von mir? Ich weiss es nicht. Ich liess die Zeit gewähren im vollen Vertrauen darauf, dass irgendwie und irgendwann sich alles ohne mein Zutun ergeben würde. Mein Vertrauen sollte sich auszahlen.

Am 24. September 2016 passte zum ersten und definitiv nicht zum letzten Mal alles zusammen. Mein erster Traum sollte in Erfüllung gehen.

Ein herrlicher Samstag sollte es werden, ein prächtiger Klettertag. Richi und ich verabreden uns für die „Joe Brown“ an den Rochers du Midi. Schon vor vielen Jahren wollte ich diese Route klettern, aber es passte einfach nie und so vergass ich sie einfach.

Wir treffen uns in Oberwil und auf der Fahrt nach Courrendlin unterhält mich Richi mit vielen Geschichten und Erlebnissen aus seinem ereignisreichen Leben. Die Fahrt vergeht im Nu und schon bald stehen wir auf dem Parkplatz unterhalb der Felsen. Wir packen die notwendigen Sachen und nehmen den Weg zur Route in Angriff. Dort angekommen sehen wir, wie bereits eine Seilschaft in der Route klettert. Wir können uns also alle Zeit der Welt nehmen. Wir diskutieren über Gott und die Welt und natürlich über das Klettern. Mich interessiert es brennend, wie denn die Geschichte des Kletterns im Basler Jura geht. Ich war seinerzeit aussen vor, Richi mittendrin. So erfahre ich viele spannende Einzelheiten aus der Anfangszeit des Freikletterns im Basler Jura. Eigentlich ist dies eine derart spannende Geschichte, dass darüber unbedingt ein Buch geschrieben werden sollte.

Doch irgendwann ist auch die schönste Geschichts-Stunde zu Ende und wir gehen die „Joe Brown“ an. Locker, leichtfüssig und elegant klettert Richi die erste Seillänge hoch. Ich kann keine Anstrengung erkennen, Richi ist in Top-Form. Ich binde mich ins Seil ein, schnüre die Schuhe und ab geht es. Herrliche Kletterei in einem für mich idealen Schwierigkeitsgrad darf ich erleben. Es macht derart viel Spass diese Route zu klettern, es ist ein unbeschreibliches Erlebnis. Beim ersten Stand angekommen ahne ich, dass nun ein richtig schwieriger Move das weitere Vorwärtskommen arg in Frage stellt.

Offenbar sieht Richi, wie ich diesen ersten Move mit Argwohn beäuge. Es sieht wirklich nicht einfach aus. Aber wie Richi halt so ist, erklärt er mir, wie die Situation zu lösen ist und demonstriert das gleich vor. Richi klettert weiter und immer wieder höre ich nur begeisternde Worte. Es müssen top Bedingungen herrschen. So stehe ich gut gesichert an einem sehr bequemen Stand, es ist herrlich ruhig, unter mir kreist geräuschlos ein Bussard und von oben höre und spüre ich reines Klettervergnügen. Richi beendet die zweite Seillänge und nun ist die Reihe wieder an mir. Gleich zu Beginn kopiere ich die mir gezeigte Bewegungsabfolge und siehe da, ich löse dieses Problem ohne irgendwelche Mühe. Meine Herangehensweise an das Problem hätte mich sehr viel Kraft gekostet und so richtig super wäre es auch nicht gewesen. Und wieder habe ich etwas gelernt! Die zweite Seillänge ist von unbeschreiblicher Schönheit. Mein Kletterkönnen passt wieder perfekt zum Schwierigkeitsgrad und ich geniesse jeden Zug der Seillänge. Schritt um Schritt klettere ich höher in bestem Fels mit Griffen wie ich es mag und Tritten wie ich sie nötig habe. Ein Move besser als der andere, tatsächlich herrschen beste Bedingungen mit trockenem Fels und idealen Temperaturen. Ich durchlebe ein einmaliges Klettererlebnis, ein wunderschönes Abenteuer.

Am Stand angekommen will ich mich festbinden. Doch Richi meint, dass ich sicher die letzte Seillänge im Vorstieg klettern könne. So mache ich mich auf den Weg. 1. Bolt, 2. Bolt, herrliche Kletterei im Bereich 5a. Plötzlich wird mir bewusst, dass ich nicht so hetzen sollte, denn wenn ich oben angekommen bin, geht mein Traum in Erfüllung. Und eigentlich möchte ich doch noch lange träumen dürfen. Es führt jedoch kein Weg an der Wirklichkeit vorbei und schon bald stehe ich am Ende der „Joe Brown“. Wenige Minuten später steht Richi neben mir. Geschafft! Unsere erste gemeinsame Mehrseillängen-Tour ist damit Wirklichkeit geworden.


Dieses war der erste Streich,
Doch der zweite folgt sogleich.

Kommentare