Heilige Barbara

von Markus

Die Heilige Barbara gilt als Nothelferin und Schutzpatronin. Doch sie hat meines Erachtens ihren Job nicht ganz so ernst genommen, wie ich mir erhofft hatte. Hier gibt es die Geschichte dazu.

Der Autor am Ort des Geschehens an der Schauen
 
Die Gnädigkeit des hohen Alters lässt es zu, sich nicht mehr exakt an alles erinnern zu können. Nur noch schemenhaft kann ich mich daran erinnern, in jungen Jahren zusammen mit Roland, Olivier und Peter an die Schauenburgerfluh gefahren zu sein. Der Ritt auf unseren Töffli von Riehen an den Fuss der Schauenburgerfluh war schon imposant lange, noch imposanter waren die schweren Rucksäcke und das Material, welches wir für unser Unternehmen mitnahmen. Es war ein warmer Tag, mir lief beim Anstieg der Schweiss in Bächen von der Stirn. Am Fels angekommen sahen wir – nichts. «Da hat es ja gar keine Haken in der Wand» war kurz zusammengefasst die Erkenntnis. Wir unterschieden seinerzeit noch nicht zwischen Schlaghaken (wer hat eigentlich diesen Begriff kreiert?) und Bohrhaken. Wir wollten einfach klettern und free solo war uns das alles viel zu schwer und zu unsicher. Doch da sahen wir am Einstieg des Santa Barbara-Riss einen einzementierten Haken. Doch wozu sollte der gut sein, wenn es weiter oben keine weiteren «Befestigungsmöglichkeiten» gab? Geklettert habe ich an diesem Tag nichts, soviel weiss ich noch. Ich habe einfach still vor mich hingeschwitzt und mich gefragt, was ich hier soll.

Besagter Ring. Ist ja offensichtlich wofür er gedacht ist. Selbstsicherung....

Ein paar Jahre später fuhr die gleiche Crew mit Rolands wunderschönem rot-schwarzen Ford Capri an einem sonnigen Sonntag wieder an die Schauen. Alle waren wir besser geworden, ausser ich. Ich wurde nur dicker. Wir hatten auch profillose Kletterschuhe und hörten «Wish you were here» von Pink Floyd. Die Haare waren länger und die Rekrutenschule rückte näher. Am Santa-Barbara-Riss angekommen, wunderten wir uns immer noch über den einzementierten Haken. Doch dem Riss entlang sahen wir nun «Befestigungsmöglichkeiten» wenn auch nur in Form von gut gelegten Keilen. Wer dann von meinen Freunden sich den Riss hochgeschrubbt hat, das weiss ich nicht mehr. Ich kann mich an mein totales Versagen gleich beim ersten Move erinnern. Der Rest des Tages ist in der Dunkelheit des Vergessens entschwunden.

Im Jahr 2001 oder 2002 war ich nach langer Kletterabstinenz wieder an der Schauen. Es war warm, sehr warm. Ich war untrainiert. Der einzementierte Haken beim Santa-Barbara Riss war immer noch da, nun aber glänzten Bohrhaken entlang des Risses. Seinerzeit war die Differenz zwischen Silvio und mir 7b zu 5a und heute 8b+(?) zu 6a. Silvio kletterte locker den Santa-Barbara Riss hoch bis zum Umlenker und hängte so das Top-Rope für mich ein. Voll motiviert stieg ich ein, um nur wenige Sekunden später wie die berühmte Abriss-Birne im Schrägriss zu landen. Weitere erfolglose Versuche folgten, der Schweiss rann in Bächen herab. Irgendwie erwischte ich den ersten Express und zog mich dankend daran hoch. Irgendwie gelangte ich bis 2 Meter unter den Ausstieg. Dort gilt es, in etwas athletischer Kletterei den Riss zu verlassen und ein paar schöne Klettermoves zum Top zu geniessen. Es sollte nicht soweit kommen. Ich blieb im Riss stecken, es ging weder aufwärts noch abwärts und die Angst frass ganz langsam aber sicher die Nerven auf. Wie der Tag endete? Auch das habe ich vergessen.

2017. Seit Jahren gehe ich sehr gerne an die Schauenburg klettern. Immer wieder bin ich beim Ostturm anzutreffen. Es gibt in diesem Sektor wunderschöne Routen. Jedes Mal lacht mich der Santa-Barbara Riss an und immer wieder verschiebe ich lachend den Durchstieg auf das nächste Mal. Der einzementierte Haken ist immer noch da, wie auch die Bohrhaken. Instinktiv weiss ich, dass ich diese Route klettern muss, um meinen Seelenfrieden zu finden. Ich nehme die Route in meine Projektliste auf. Noch einmal gehe ich im 2017 an die Route, checke alle schwierigen Stellen aus und kann anschliessend den Riss dreimal fehlerfrei im Top-Rope klettern. Die ganz wichtige Vorbereitungsarbeit ist somit geleistet und ich fühle mich bereit, die Route zu klettern.

2018. Trainiert und motiviert steigen wir zur Schauen hoch. Der Plan ist einfach: Santa-Barbara Riss. Am Fels angekommen trifft mich fast der Schlag. Aufgrund der Tatsache, dass der mittlere Sektor wegen Falkenbrut richtigerweise geschlossen ist, zieht es viele Kletterer an den frei begehbaren Ostturm. Und da sind sie denn auch, die vielen Kletterer. Aufgrund meiner langen Geschichte mit dem Santa-Barbara Riss brauche ich einfach etwas mehr Ruhe als sonst bei einem Durchstieg. Wird das was bei diesem Lärm? Ich bin verunsichert. Andrea hängt mir verdankenswerterweise das Top-Rope ein. Es ist heiss, die Sonne knallt voll auf den Fels, die Kletterer sind laut. Ich binde mich in das Seil ein und beginne mit dem Top-Rope. Doch ich habe die Rechnung ohne die anderen Kletterer gemacht. Rechts von mir klettert eine wirklich gute Seilschaft. Doch so gut die beiden auch klettern – sie gehen mir unglaublich auf die Nerven. Man kann ja schon miteinander reden, doch muss es so laut sein, dass es die Leute im Hotel Schauenburg auch hören können? Und dann war alles «geil». Der Griff mit links – geil. Der nachfolgende Griff mit rechts – geil. Jeder Tritt – geil. Jeder Kletterzug – geil. Der eine Kletterer macht typischerweise geile Musik und die geilen Sounds beinhalten natürlich geile Töne und alles ist sowieso geil.

Ja, in solchen Momenten kommt mir echt mein Alter in die Quere. Geil assoziiere ich immer noch mit der Todsünde Luxuria und der mittelhochdeutsche Sinn des Wortes will bei mir einfach nicht Fuss fassen. Zudem betrachte ich diesen Ausdruck ganz einfach als vulgär. Wie gesagt, da kommt mir meine Erziehung in die Quere und es liegt an mir diesbezüglich einen für mich gangbaren Weg zu finden, denn das Wort «geil» ist in der Zwischenzeit omnipräsent. 

Und jetzt kommt die Heilige Barbara ins Spiel. Als Nothelferin – und ich bin in einer Notsituation – rufe ich sie an und bitte sie, die Geilheit rechts von mir abzustellen. Die Heilige Barbara fragt jedoch, weshalb ich sie anrufe. Ich erkläre ihr, dass das doch ihr Riss sei und sie die Chefin des Gebietes. Da lacht mich die Heilige Barbara an und sagt freundlich: «Markus. Ich bin die Heilige Barbara. Doch das ist der Santa-Barbara Riss und nicht der Heilige-Barbara Riss. Damit habe ich nichts zu tun. Ich weiss auch nicht, wer dafür zuständig ist. Da muss ich mal nachfragen.» sie verschwand und kam nicht mehr zurück. Ja, hat man da noch Töne? Da kommt eine Heilige vorbei und dann diese Antwort. Ok, ich gebe mich geschlagen und lasse die Geilheit über mich ergehen. Bei dem Lärm und dieser ewig währenden Geilheit der Jungs von nebenan ist natürlich nicht an ein Vorstieg zu denken. Plan B: wenn schon nicht Vorstieg, dann Training. Ich optimiere die Züge weiter und klettere an diesem Tag sechsmal die Route fehlerfrei im Top-Rope.


Pfingstsamstag 2018. An Pfingsten fahre ich für 2 Wochen nach Mallorca in die Ferien. Ich freue mich sehr darauf. Wohin des Weges also am Samstag? Richi hat die beste aller Ideen und wirft «Schauenburg» auf. Der Santa-Barbara Riss, ja das wäre super diesen «uralten Sack» endlich klettern zu können und mit einem guten Gefühl in die Ferien zu fahren. Als wir am Nachmittag beim Riss ankommen, hat es erwartungsgemäss Kletterer am Ostturm, jedoch keine Geilheit. Es ist deutlich ruhiger und es ist auch nicht so derart heiss. Richi hängt mir das Top-Rope ein. So nebenbei sagt er mir, dass er diese Route in seinen jungen Jahren öfters free solo geklettert habe. Ja, dazu fällt mir dann nichts mehr ein, im Gegenteil. Die Hochachtung geht in eine neue Stufe über. Ich binde mich ins Seil ein und versuche mich an die gefundenen Lösungen zu erinnern. Das klappt ganz gut und fehlerfrei komme ich im Top-Rope oben an. Und sofort steigt die Nervosität.

Nach einer kurzen Pause steige ich im Vorstieg ein. Die beiden ersten Meter klettere ich zwar hoch kompliziert doch fehlerfrei durch. Eine lange Pause an einem guten Rastpunkte lässt den Herzschlag etwas verlangsamen und die Atmung weniger heftig werden. Sorgfältig klettere ich weiter, konzentriert und alle Rastpunkte optimal ausnützend. Ich gelange zur Schlüsselstelle. Noch einmal erhole ich mich gut. Langsam bin ich davon überzeugt, dass heute der richtige Tag sein könnte. Konzentriert und mit vollem Engagement klettere ich die Schlüsselstelle und kann nach wenigen Sekunden glücklich und zufrieden das Seil in den Umlenker hängen. 

Beim Abbauen der Route überkommt mich dieses einmalige Glücklichsein und dieses völlige Zufriedensein - die absolute Harmonie von Geist und Körper. Faszinierend und immer wieder schön zu erleben. Richi, danke für deinen selbstlosen Support! 

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