Pelzli: Im Sandwich...

von Markus

Tatort: Pelzli. Tatzeit: nach dem Drama an der Daumen-Ostwand. Was: Kampf

Wer kennt ihn nicht, diesen wunderschönen Überhang mit dem Namen "Nase" auf dem Weg vom Parkplatz zum Basler Mätteli im Pelzli? Absolut jeder, der schon einmal im Pelzli war, hat die "Nase" bestaunt. 1975 oder 1976 haben Roland, Peter, Oliver und ich die "Nase" an einem wunderbaren sonnigen Februar-Tag in klassischer A2-Manier geklettert und wir fühlten uns wie Helden. A2! Das war seinerzeit eine ganz grosse Nummer. 1973 oder 1974 - ich kann mich wirklich nicht mehr genau erinnern, war die "Nase" der Schauplatz eines beliebten Rituals der JO Basel-Stadt während des ersten Kletterkurses im Jahr. Wer genug Mut hatte, und das hatte seinerzeit ja jeder, da wir alle mutige Alpinisten werden wollten, der durfte zum Schluss des Klettertages sich über die "Nase" abseilen. Wohl gemerkt - nicht mit so modernem Ausrüstungs-Zeug wie Achter oder sonstigem Hilfsmittel, sondern im reinen und puren Stil dieser Tage - im Dülfersitz. Spätestens nach 5 Metern, nachdem der ambitionierte Kletter-Athlet freihängend im Dülfersitz mit brennendem Hosenboden am Hanfseil hängend dem sehnlichst erwarteten Boden entgegen glitt, verwünschte er diese Mutprobe.  Die restlichen Meter bis zum Boden waren die Hölle. Der Hosenboden glühte, die Schulter schmerzte, die Striemen auf dem Rücken wurden mit jedem Zentimeter des Ablassens breiter und heftiger. Doch einmal hat alles ein Ende und so stand ich dann mit einem fast schon lodernd brennendem Körper gesegnet auf dem Boden und schwor mir, so etwas nie mehr zu machen. Kurz darauf setzte sich der eben neu erfundene Achter zur Sicherung und zum Abseilen durch. Bis zum heutigen Tag bin ich meinem Schwur treu geblieben.

"Nase" im Pelzli

Aber diese Geschichte wollte ich gar nicht erzählen. Sie ist mir einfach wieder so lebendig in den Sinn gekommen, als ich die Bilder von der "Nase" gesehen habe. Die Geschichte, die ich heute erzählen möchte, handelt von dem wunderschönen Riss gleich rechts von der "Nase", der gemäss Fluebible "Sandwich" heisst und 1943 erstbegangen wurde, wohl im Top-Rope. 

Eintrag aus der Fluebible

Richi hatte an diesem Tag die Idee, einer meiner ganz grossen Schwächen, dem Rissklettern, den Garaus zu machen. Deshalb durfte ich zunächst durch den Ost-Riss am Daumen klettern, mich an der nun etwas verschandelten Wand ärgern und anschliessend den wunderbaren Riss "Im lichtigen Reben ist die lechte Rinie die rinke Loute" klettern. Das ist so ein totaler Bruch-Name für ein wunderbares Stück Fels, der total unlustig und unter 2,4 Promille Alkohol nicht zu verstehen ist. Schlimm daran ist, dass sich die nachfolgenden Generationen an diesen Namen orientieren (müssen). Dabei hatte die Route in den späten 70er-Jahren gar keinen Namen und wir alle hatten nicht das Bedürfnis, einer Route einen Namen zu geben. Wozu auch?

Skizze aus der Fluebible

Alle guten Dinge sind bekanntlich drei und deshalb standen wir nun vor dem "Sandwich" an der "Nase". Im Gegensatz zur Daumen Ost-Wand, war hier ein wirklicher Künstler bei der Sanierung der Route am Werk. Die Klebebolts sind optimal und auch optisch perfekt gesetzt. Wir alle kennen diesen Künstler und können dankbar sein, dass er sich beim Bolt-Setzen immer viel Gedanken macht und auch die ästhetische Seite des Sanierens beachtet. Danke Chris.

[Gemäss dem Kommentar von Chris (sh. unten) war es also nicht er, welcher "Sandwich" sanierte. Demzufolge gebührt mein hier ausgesprochenes Lob dem mir leider nicht bekannten Sanierer. Dass Chris ein wahrer Künstler ist, kann jedoch in "The Wall" verifiziert werden.]

Richi seilt sich an und steigt in den Riss ein. Wie immer sieht bei ihm alles total einfach aus. Nur nach etwa 4 bis 5 Meter ab Boden, beim dritten Bolt, da stockt sein Bewegungsfluss etwas. Es ist jedoch nicht der Rede wert und er klettert in bekannt gekonnter Manier bis zum Ausstieg. Das ist eben immer so mein Problem, wenn ich mit Top-Athleten klettern gehe. Die sind derart gut, da erkenne ich nie, wo in der Route die Schwierigkeit ist und ich kann nicht abschätzen, ist das jetzt 7c oder 5c. Nun gut, das ist jetzt wirklich ein absolutes Luxusproblem mit dem ich sehr gerne lebe.

Richi steht neben mir auf dem Boden und er lächelt etwas verschmitzt. Er weiss offenbar etwas mehr als ich. Ich seile mich an und steige topmotiviert in die Route ein. Erster Bolt - kein Problem. Etwas steil und streng ist es schon, ich bringe jedoch die antrainierte Kraft ideal an den Fels und bin schon bald beim zweiten Bolt. Das Herz muss schon etwas arbeiten und auch die Lungen sind im intensiven Einsatz. Motiviert klettere ich weiter, denn ich habe ja die Kraft des B2 in mir. Der Riss öffnet sich etwas, die Wand links und rechts des Risses sind total glatt, also bleibt mir nichts anderes übrig, als in den Riss zu schlüpfen. Sofort wird mit klar, weshalb Richi so still vor sich hin gelacht hat. Ich stecke fest. Die Füsse baumeln in der Leere, mein ganzen Körpergewicht hängt im Moment an meinem im Riss verkeilten Brustkasten. Mit viel Müh und Not gelingt es mir, die Füsse wieder zu platzieren und endlich kann ich die Luft aus den Lungen lassen, damit ich - eher ungewollt - mit meinem dicken Hintern nun im Riss verkeilt bin. "Und wie weiter?" frage ich mich und Richi. Richi gibt mir den Tipp, mich ganz langsam und ruhig aus der misslichen Lage zu befreien, Kontrolle über den Körper zu gewinnen und langsam aber stetig mich nach oben zu bewegen. Plötzlich wird mir bewusst, dass dies ist Stelle ist, an welcher Richi ein paar wenige Sekunden länger nach Lösungen gesucht hat. Und ich? Ich hänge total verklemmt im Riss und kämpfe wie ein Löwe. Ich bin so froh, dass ich im Top-Rope in diese Route eingestiegen bin. Notfalls könnte ich mich einfach aus dem Riss herausschälen und ins Seil springen. Tausendmal überlege ich, wie ich mich aus der Situation befreien kann. Irgendwie bekomme ich den einen Fuss auf einen Tritt. Ist es ein Tritt? Egal. Ich halte mich an irgendwelchen Unebenheiten am Fels. Der zweite Fuss findet auch irgendwas. Mutig drücke ich mich nach oben nur um zu realisieren, dass ich jetzt mit der Hüfte feststecke. Mit ganz viel Geduld und vielen Verrenkungen gelingt es mir, mich aus der sehr unbequemen Lage zu befreien nur um wenige Minuten später mit dem nächsten Riss-Problem konfrontiert zu werden. Spreizen, Stemmen, Halten, Jammern - alles gleichzeitig. Das Herz rast, die Lungen rasseln, ich kämpfe und gebe nicht auf. Immer höher schraube ich mich im Riss höher und nach gefühlt 2 Stunden Kampf erreiche ich den Umlenker. Zurück auf dem Boden lachen wir beide. Ja, diese Route trennt die Spreu vom Weizen auf ganz eindrückliche Art und Weise.

Die Route in ihrer ganzen Schönheit und Länge

Ich allerdings nehme ein paar sehr wichtige Informationen mit, die ich schon ein paar Monate später ideal wieder einsetzen kann. Dazu bald mehr auf diesem Blog. Trotz allem - meine grosse Schwäche im Rissklettern ist nur minim kleiner geworden. Aber - und das ist der entscheidende Aspekt - die Schwäche wurde etwas kleiner.

Kommentare

Unknown hat gesagt…
Super Markus..sehe schon, dass es Richi ernst meint mit der Göscheneralp, wenn ihr so intensiv beim Rissklettertraining seid ;-) hoffentlich bis bald im Granit :-)
Chris Frick hat gesagt…
So ein Pelzli-Tag ist ja auch immer ein Erlebnistag... :) Vielen Dank für die Blumen, doch kann ich mich nicht erinnern, den Sandwich saniert zu haben. Wenn ich mich nicht irre, stammt diese Sanierung aus der gleichen Feder wie jene der Ostwand. Beste Grüsse.