"Directe" an der Miroir d'Argentine

Von Markus mit Fotos von Richi Signer

Zunächst möchte ich mich für das lange Stillschweigen auf diesem Blog entschuldigen. Mein Kletterleben ist sehr intensiv und ich komme nicht dazu, alle meine Erlebnisse niederzuschreiben. Natürlich könnte ich auf Facebook oder Instagram einen Post platzieren, doch das Erlebte kommt meines Erachtens erst mit ein paar zusätzlichen Zeilen mehr besser zum Ausdruck.

"Directe" an der Miroir d'Argentine

Immer wenn ich in den Kletterführern herumblätterte, fiel mein Blick auf die Routen an der Miroir d'Argentine. Das ist eigentlich so richtig genau das, was ich mit etwas Engagement klettern könnte. Doch beim Blick auf den langen Anfahrtsweg blätterte ich Mal um Mal weiter. Von Basel aus ist diese sicher wunderschöne Gegend viel zu weit weg für einen One-Day-Ascent einer Route. So beliess ich es bei einem Traum, es stimmte für mich.

Doch - der geneigte Blog-Leser ahnt es bereits - Richi hat dafür gesorgt, dass auch dieser Traum in Erfüllung gehen sollte. Doch so ganz locker wie ich mir das vorgestellt habe, war die Tour dann doch nicht. Nachstehend die ganze Story dazu.

Wir telefonieren am Freitagabend, 2. August 2019. Sofort ist klar: Miroir d'Argentine. Ich hatte am 1. und 2. August frei und so fühle ich mich absolut ausgeruht und fit für die Tour. Auch habe ich keine Termine für den Abend, sodass ich ohne zeitliche Einschränkung unterwegs sein kann. Ich freue mich auf diese Klettertour und packe sofort meinen Rucksack. Richi gibt mir am Telefon den Tipp, einen kleinen Rucksack mitzunehmen, denn wir müssen unsere Schuhe, Essen und Trinken durch die Wand nach oben tragen. Schnell ist alles bereitgelegt und der Wecker auf 6 Uhr in der Früh gestellt. Ich schlafe wie ein Murmeltier und wenige Sekunden bevor der Wecker sein nervtötendes Geräusch von sich gibt, bin ich schon wach und motiviert. Für den Samstag werden weit über 30 Grad in Basel gemeldet, da kommt die Nord-West Ausrichtung der Miroir d'Argentine dem Kletterer sehr entgegen. Es wird angenehm kühl sein.

Der Junior auf steilem Fels

Wir treffen uns um 7 Uhr in Oberwil. Auf der Fahrt Richtung ins Klettergebiet denke ich immer wieder, wie schön es doch in der Schweiz ist. Speziell die Fahrt von Bern in Richtung Lac Leman begeistert mich immer wieder. Es ist schon ein Geschenk, in welch schöner Landschaft wir wohnen und klettern dürfen. Nach 2 3/4 Stunden Fahrt sind wir auf dem Parkplatz in Solalex. Richi rettet uns, denn er zückt einen Fünfliber für die Parkgebühr. Mit meinem etwas modernen Verhalten, sprich Mobile Payment, wären wir aufgeschmissen gewesen. Nur Bares ist eben Wahres!

Der Miroir liegt nun vor uns, ein wunderbares Stück Fels, schlicht grandios und sehr beeindruckend. Wir packen unsere kleinen Rucksäcke (mein kleiner Rucksack ist doppelt so gross wie der von Richi) und machen uns auf den Weg zum Einstieg. Tags zuvor muss es geregnet haben, denn der Boden ist nass und die Feuchtigkeit hängt bleiern in der Luft. Der Anstieg ist steiler als gedacht und das Atmen fällt uns schwer. Bald ist mein T-Shirt tropfnass, so etwas habe ich nun schon sehr lange nicht mehr erlebt. Doch alles hat ein Ende, auch dieser Anstieg. Richi entscheidet, dass wir uns anseilen, was meiner etwas wackligen Art auf losen Steinen klettern zu müssen, sehr entgegenkommt. Bald stehen wir am Einstieg der "Directe", ich freue mich sehr auf das Klettern. Mit etwas Ehrfurcht lese ich auf dem angebrachten Schild beim Einstieg, dass die Route am 23. August 1963 zum ersten Mal geklettert wurde. August 1963 - da befand ich mich gerade auf dem Weg mein 3. Lebensjahr zu vollenden. Ich ziehe immer wieder den Hut vor den Kletterern, welche seinerzeit eine solche Tour erstbegangen haben.

Richi klettert los und bald verschwindet er aus meinem Blickfeld. Regelmässig kann ich das Seil ausgeben, da gibt es kein Zögern, einfach nur Ruhe und konsequentes Höhersteigen. Nach wenigen Minuten ist er am ersten Stand angelangt und nun gilt es für mich mit dem Klettern zu beginnen. Der Fels ist ganz zu Beginn gewöhnungsbedürftig, doch sehr schnell finde ich mich zurecht. Ich versuche, die in letzter Zeit gelernten Kniffe und Tricks anzuwenden. Das gelingt mir recht passabel und schon bald bin ich bei Richi am Stand. So klettern wir stetig höher, das Klettern macht unheimlich viel Spass, es ist abwechslungsreich, es ist ein Segen hier klettern zu können. "Jetzt kommt die Schlüsselstelle", sagt Richi am Stand der 5. Seillänge.

Der kleine und doch viel zu grosse Rucksack

Einmal mehr verschwindet Richi aus meinem Blickfeld. Minuten später sehe ich ihn aus einem Riss hervorlugen, den Rucksack vorne am Klettergurt fixiert und er ruft mir zu, es ihm so gleichzutun. Er klettert weiter und wenige Sekunden später höre ich "Stand" und ein "Runterfallen wirst du sicher nicht". Ich ahne es! Wenige Sekunden später klettere ich los. Ein toller Move löst den nächsten ab und nach wenigen Klettermetern stehe ich in einer höhlenartigen Verschneidung. Ich sehe die vom Magnesium weissen Griffe und klettere los. Alles läuft wunderbar. Und dann - ein lautes Ratsch lässt mich stoppen. Ich komme nicht höher. Ich bin festgeklemmt. "Gopferdelli" fluche ich laut und deutlich vor mich hin und realisiere augenblicklich, dass ich den Rucksack schon vor einigen Metern hätte zwischen die Beine nehmen sollen. "Gopferdeggel, Gopferdeggel, Gopferdeggel" fluche ich aus vollem Herzen! Runter kann ich nicht mehr. Hoch komme ich auch nicht mehr. Jetzt stecke ich fest. Genial wie ich bin, überlege ich blitzschnell und rechne. Wenn also die Dicke von Bauch und Rucksack zusammengezählt mich am Weiterklettern hindert, dann ist meine schmale Seite die Rettung. Ich drehe mich um 90 Grad und bleibe mit den Schultern stecken und unbequemerweise noch mit dem linken Rippenboden. Die Füsse hängen in der Luft, in den Händen habe ich keinen Griff. Äusserst mühsam quäle ich mich in Richtung Höhlenende, wo ein schöner Bohrhaken glänzt. Die Schultern schmerzen vor lauter Druck, die Rippen quietschen im Gleichklang dazu, ein Felsvorsprung bohrt sich prominent in meinen Allerwertesten. Endlich erreiche ich den Bohrhaken und hoffe, dass jetzt alles ein Ende hat. Aber dem ist nicht so. Ich stecke im Riss fest, die Füsse baumeln in der Luft. Mit dem Mut der Verzweiflung fasse ich in den Express und springe mit voller Kraft aus dem Riss heraus und baumle mich nur am Express haltend in der Luft. Endlich bin ich frei, kann die Füsse und Hände sortieren und die Seillänge fertig klettern. Am Stand angekommen muss ich laut lachen. Ja, das ist jetzt wieder so ein Erlebnis, welches als Räuber-Geschichte in die Annalen eingehen wird.

Die restlichen 9 Seillängen sind Kletterspass pur. Das Klettern macht mir unheimlich viel Spass. Meine neu gewonnene Fitness wird mit dem Spruch "da atmet einer wie Reinhold Messner auf 7500 Meter ohne Sauerstoff-Gerät" quittiert. Ich muss laut lachen. Es ist einfach fantastisch mit Richi klettern gehen zu können. Soviel Schalk und positive Energie spüre ich im Alltagsleben selten. Der Junior der Seilschaft ist immer etwas leicht überfordert und der Senior meint es einfach nur gut mit ihm und lernt ihn immer wieder neue Tricks und Kniffs. Das Lernen hat kein Ende.

Die letzten Klettermeter in der "Directe"

Der anschliessende Abstieg killt mich. Die Sonne brennt unbarmherzig von einem wolkenlosen Himmel. Mich schmerzen bei jedem Schritt die Knie. Abstiege waren noch nie meine Paradedisziplin, sie werden es auch nie mehr werden und so eiere ich mehr schlecht als recht dem Talboden entgegen.

Die Fahrt zurück von Solalex nach Oberwil vergeht wie im Flug, denn - wie immer - wir haben uns viel zu erzählen.

Der Muskelkater im linken Oberschenkel lässt mich Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstagmorgen an die "Directe" erinnern.

Die Knie schmerzen und der linke Oberschenkel leidet







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