von Markus
Sicher hegen die regelmässigen Leser dieses Blogs den leisen
Verdacht, dass das eine Exemplar der Spezies Jurasaurier sich vom Acker
gemacht hat und sich jetzt in den Ewigen Jagdgründen tummelt. Es gibt einfach
keine Neuigkeiten vom Jura-Dino. Ist er
vielleicht doch noch nach seinem Trip an den Bärenfels erfroren? Wohl möglich.
Das andere Exemplar dieser wirklich vom Aussterben bedrohten
Art hat eine Reise in südliche Gefilde unternommen und dort mal gezeigt, was
denn so ein Jurasaurier in Topform zu leisten vermag! Die Liste der
gekletterten Routen ist sehr beeindruckend! Chapeau!
Ich kann alle Freunde des Jura-Dinos beruhigen. Es geht ihm
gut, er ist gesund und wie immer gefrässig und geht regelmässig dem
Klettersport nach. Soviel zum Comeback als Blog-Schreiber.
Ich kann nachdenken so viel ich will, aber da ist einfach
nichts Erwähnenswertes zu berichten. Im Zeitalter der „8b+ by 10 years old in
fith go“ verdient mein heroisch geführter Heldenkampf gegen mich selbst und die
betonharten Unterarme nach(!) der Schlüsselstelle von „Force tranquille, 6b+“
in La Jacoterie keine Erwähnung. Was ist denn schon mein „Poltergeist“ in der
Tüfleten gegen die „8c+ by a 17 years old“. Am gleichen Tag habe ich mein über
30 Jahre altes Projekt geklettert - „Banana Republic“, eine lächerliche 6a.
Baah, wen interessiert das schon. Die Route verblasst komplett neben der
Headline „Tree 8b’s onsight by…“.
Somit könnte dieser Blog-Eintrag eigentlich bereits fertig
sein, ist er aber dank meiner Geschwätzigkeit nicht. Ich kann es nicht lassen, doch noch mehr über meine
Erlebnisse in der Tüfleten in den vergangenen Wochen zu berichten. Wie immer
gibt es zu jeder meiner Kampf-Begehungen eine kleine Anekdote, die ich mit euch
gerne teilen möchte:
Spacecake
Es war November 2011, als ich zusammen mit Jürgen nach langer
Zeit wieder einmal die Tüfleten besuchte. Meine bisherige Höchstleistung in der Tüfleten
steht bei einer astreinen 6a+ mit Namen „Spielwiese“. Mein Plan war, diese
Höchstleistung zu pulverisieren und eine 6b anzugehen. Ich sah die Linie von
„Spacecake“ und wollte den Plan in die Tat umsetzen. Bald war mir klar, weshalb
die Route so heisst. Ein anderer Name wäre einfach falsch. Ich hatte jedes Mal
einen grossen Respekt vor den hohl klingenden Felspartien. Die Schlüsselstelle
konnte ich einmal in gefühlten 50 Versuchen klettern. Beim Üben in der Route
ruinierte ich den rechten Schuh meiner ach so geliebten Anasazi Blanco. Damit
erhielt die Route die grösstmögliche Strafe: Liebesentzug und Projektende
Poltergeist
Wieder in der Tüfleten wollte ich in „Spacecake“ Nägel mit
Köpfen machen und die Route doch trotz Liebesentzug und Projektende klettern.
Basta! Doch Gott sei Dank war die Schlüsselstelle nass und so fand ich in
„Poltergeist“ eine wunderbare Alternative. Der Fels trocken, gut gesichert, powerig und
wirklich schön lang. Der Geist der Route polterte lange in meinem Hirn herum. Es war ein etwas
grösseres und zeitlich intensiveres Unternehmen „Poltergeist“ zu klettern. Seither schaut der
Poltergeist kritisch von seinem Platz aus dem Kletterer scharf in die Augen und
lässt absolut keinen Zweifel über die Routenführung zu!
Tüfleten - Poltergeist (Danke Tom) |
Banana Republic
Es gab sie noch nicht, die vielen nützlichen, gern gesehenen
und häufig benutzten Umlenker auf dem langen Weg zum Ausstieg, da hing ich schon in
der Route. Teufelskerl und Klettergott Richi hat seinerzeit die Route eröffnet und wir standen mit offenem
Mund beim Einstieg und fragten uns, wie denn das möglich ist, dort oben so
völlig crazy und spacy eine Route einzurichten. Es gab nicht viele Haken bzw. Bohrhaken
auf dem Weg nach oben….
Irgendwie schafften wir es bis zum ersten Stand unter dem
Schlussaufschwung zu kommen. Dieser Stand war notwendig, da es seinerzeit noch
keine 70 Meter-Seile gab. Heute wird locker an diesem wirklich schönen und
luftigen Standplatz vorbei geklettert ohne die traumhafte Aussicht zu
geniessen. Im Nachstieg mit fast neuen EB (Edouard Boucher, meine ersten
profillosen Kletterschuhe) ausgerüstet, durchlebte ich die Höllenangst, dass
ich ausrutsche und wie eine menschliche Abrissbirne hinüber in die „Teure Route“ knalle und ganz langsam dem Fels entlang dem Boden entgegen rutsche. Ganz so wie der berühmte Cartoon-Schakal auf der Jagd
nach seinem Essen.
Die zweite Seillänge konnte ich nie klettern. Völlig plan-
und orientierungslos hing ich im Seil und Peter, Olivier und Roland hatten ihre
liebe Mühe, mich aus der Situation zu befreien. Es war grauenhaft. Auch der
Einstieg hat es in sich. Eigentlich nicht so schwer, erinnere ich mich jedes
Mal an mein schrecklichen Ereignis vor dem 2. Bolt mit einer nicht ganz so
lustigen Landung auf dem Boden. Das hat
wirklich weh gemacht, ich kann das so bestätigen.
Es sind diese Informationen zur Route, die mich veranlassten
über Jahrzehnte hinweg dieses Stück Fels ebenfalls mit definitivem Liebesentzug
und purer Verachtung zu strafen. Es brauchte wieder einmal Jürgen um mich mit
einer alten Sache aus längst vergangenen Tagen zu beschäftigen. Er meinte, dass
ich „Banana“ sicher klettern könne und ermunterte mich, doch mal die Route
anzugehen. Meine Bedingung war, dass ich wieder im Top-Rope einsteigen dürfe,
wohl wissend was mich erwarten würde.
Jürgen klettert zügig und ohne irgendwelche Probleme durch die
Route und schon nach wenigen Minuten hängt das Top-Rope. Ich ziehe meine besten
Schuhe an, bereite mich so optimal wie möglich vor. Ich versuche das in der
Route Erlebte beiseite zu schieben. Das gelingt mir gut und so starte ich gut
gelaunt und zuversichtlich. Die ersten Meter gehen gut. Und dann kommt sie mit
brachialer und nie erwarteter Gewalt: die Erinnerung an den Absturz vor über 30
Jahren! Ich bekomme die Angst nicht weg. Alles zittert, alles ist hektisch, ich
kann weder vorwärts noch rückwärts. Nichts geht mehr, ich zittere noch mehr,
Fehler reiht sich nahtlos an Fehler, die Kraft schwindet, alles dreht sich und
ehe ich mich versehe hänge ich bereits im Seil und stehe Dank der Seildehnung
so ziemlich genau dort, wo ich vor vielen Jahren etwas heftiger aufgeschlagen
bin. Völlig demotiviert und überfordert mit der Situation stehe ich da. Wie
weiter? Mit einer brutalen Wut im Bauch klettere ich wieder hoch zur Stelle,
dann der mutige Griff an den Express und weiter über die schwere Stelle hoch zu
einer guten Rastposition. Das Herz rast, die Angst ist greifbar, alles zittert,
ich bin völlig ausser Kontrolle. Langsam bewege ich mich in der Route weiter
und mit jedem Move erinnere ich mich mehr an die schreckliche Angst. Mit ganz
viel Hängen und Würgen schaffe ich dann die Route im Top-Rope. Noch beim
Herunterlassen sage ich zu mir, dass ich „Banana“ zwar klettern könnte, aber
die Angst wird das für immer verunmöglichen. Ich war aber trotzdem ein bisschen stolz auf mich, dass ich mich noch ein letztes Mal durch „Banana“ gequält habe.
Jürgen in Action |
Kurze Zeit später sind wir wieder in der Tüfleten. Wir
freuen uns auf einen schönen Klettertag. Jürgen klettert wieder die „Banana“
hoch und hängt beim Ablassen die Express in seine Route ein. Anschliessend
stellt sich nur noch die Frage, wie die Express aus „Banana“ wieder herauskommen.
Für mich ist der Fall klar: Alle, nur nicht ich – never ever again! Plötzlich
realisiere ich, dass das Seil abgezogen ist und die Express noch hängen. Idee: ich könnte ja trotz allem was geschehen ist einen Vorstieg wagen! Wird aus dem „Never
again“ ein „vielleicht doch“? Zwei Herzen schlagen in meiner Brust und ich kämpfe
hart mit einer Entscheidung. Nach einiger Zeit keimt so der Gedanke, dass ich es
doch wagen sollte. Wild entschlossen die Angst in dieser Route definitiv zu
besiegen binde mich ins Seil ein und los geht’s. Die ersten Moves gehen gut,
alles passt perfekt, „meine ganz private Schlüsselstelle“ kommt und ich fliege
im hohen Bogen raus. Wie immer spielt sich das genau gleiche Spiel mit der Angst am genau
gleichen Ort ab und blockiert mich komplett. Die Angst ist offenbar nicht zu
besiegen, zumindest bekomme ich das nicht hin. Einmal mehr bewahrheitet sich
der Satz: Mind over Machine!
Vom Beruf her ist es mein tägliches Brot, einen Workaround für ein
bestehendes Problem zu suchen und zu finden. Deshalb greife ich zum
offensichtlichen Workaround und gestehe hiermit
offiziell, dass ich den 2. Bolt
vorgeklippt habe. Beim 2. Go funktioniert alles tadellos und ich erkenne,
welche Kletter-Perle Richi seinerzeit geschaffen hat. Herrliche und abwechslungsreiche Moves
reihen sich aneinander, der Fels ist perfekt, die Absicherung auch. Die Angst
ist weg und lässt ein tolles Kletterabenteuer wahr werden.
2 Stunden später klettere ich fehlerfrei durch
Poltergeist.
Ein herrlicher Tag in der Tüfleten geht zur Ende!
P.S.-1: Ich lasse nicht los und werde die Route auch ohne 2. Bolt vorgeklippt klettern. Stay tuned!
P.S.-2: Die Route wurde nach dem Album Banana Republic von Lucio Dalla und Francesco De Gregori aus dem Jahre 1979 benannt.
P.S.-2: Die Route wurde nach dem Album Banana Republic von Lucio Dalla und Francesco De Gregori aus dem Jahre 1979 benannt.
Kommentare
lg, Marc
Gruss, vertikarl