Ein Tag in der Tüfleten im März 2012


von Markus

Sicher hegen die regelmässigen Leser dieses Blogs den leisen Verdacht, dass das eine Exemplar der Spezies Jurasaurier sich vom Acker gemacht hat und sich jetzt in den Ewigen Jagdgründen tummelt. Es gibt einfach keine Neuigkeiten vom Jura-Dino. Ist er vielleicht doch noch nach seinem Trip an den Bärenfels erfroren? Wohl möglich.

Das andere Exemplar dieser wirklich vom Aussterben bedrohten Art hat eine Reise in südliche Gefilde unternommen und dort mal gezeigt, was denn so ein Jurasaurier in Topform zu leisten vermag! Die Liste der gekletterten Routen ist sehr beeindruckend! Chapeau!

Ich kann alle Freunde des Jura-Dinos beruhigen. Es geht ihm gut, er ist gesund und wie immer gefrässig und geht regelmässig dem Klettersport nach. Soviel zum Comeback als Blog-Schreiber.

Ich kann nachdenken so viel ich will, aber da ist einfach nichts Erwähnenswertes zu berichten. Im Zeitalter der „8b+ by 10 years old in fith go“ verdient mein heroisch geführter Heldenkampf gegen mich selbst und die betonharten Unterarme nach(!) der Schlüsselstelle von „Force tranquille, 6b+“ in La Jacoterie keine Erwähnung. Was ist denn schon mein „Poltergeist“ in der Tüfleten gegen die „8c+ by a 17 years old“. Am gleichen Tag habe ich mein über 30 Jahre altes Projekt geklettert - „Banana Republic“, eine lächerliche 6a. Baah, wen interessiert das schon. Die Route verblasst komplett neben der Headline „Tree 8b’s onsight by…“. 

Somit könnte dieser Blog-Eintrag eigentlich bereits fertig sein, ist er aber dank meiner Geschwätzigkeit nicht. Ich kann es nicht lassen, doch noch mehr über meine Erlebnisse in der Tüfleten in den vergangenen Wochen zu berichten. Wie immer gibt es zu jeder meiner Kampf-Begehungen eine kleine Anekdote, die ich mit euch gerne teilen möchte:

Spacecake

Es war November 2011, als ich zusammen mit Jürgen nach langer Zeit wieder einmal die Tüfleten besuchte. Meine bisherige Höchstleistung in der Tüfleten steht bei einer astreinen 6a+ mit Namen „Spielwiese“. Mein Plan war, diese Höchstleistung zu pulverisieren und eine 6b anzugehen. Ich sah die Linie von „Spacecake“ und wollte den Plan in die Tat umsetzen. Bald war mir klar, weshalb die Route so heisst. Ein anderer Name wäre einfach falsch. Ich hatte jedes Mal einen grossen Respekt vor den hohl klingenden Felspartien. Die Schlüsselstelle konnte ich einmal in gefühlten 50 Versuchen klettern. Beim Üben in der Route ruinierte ich den rechten Schuh meiner ach so geliebten Anasazi Blanco. Damit erhielt die Route die grösstmögliche Strafe: Liebesentzug und Projektende

Poltergeist

Wieder in der Tüfleten wollte ich in „Spacecake“ Nägel mit Köpfen machen und die Route doch trotz Liebesentzug und Projektende klettern. Basta! Doch Gott sei Dank war die Schlüsselstelle nass und so fand ich in „Poltergeist“ eine wunderbare Alternative. Der Fels trocken, gut gesichert, powerig und wirklich schön lang. Der Geist der Route polterte lange in meinem Hirn herum. Es war ein etwas grösseres und zeitlich intensiveres Unternehmen „Poltergeist“ zu klettern. Seither schaut der Poltergeist kritisch von seinem Platz aus dem Kletterer scharf in die Augen und lässt absolut keinen Zweifel über die Routenführung zu!

Tüfleten - Poltergeist (Danke Tom)
Banana Republic

Es gab sie noch nicht, die vielen nützlichen, gern gesehenen und häufig benutzten Umlenker auf dem langen Weg zum Ausstieg, da hing ich schon in der Route. Teufelskerl und Klettergott Richi hat seinerzeit die Route eröffnet und wir standen mit offenem Mund beim Einstieg und fragten uns, wie denn das möglich ist, dort oben so völlig crazy und spacy eine Route einzurichten. Es gab nicht viele Haken bzw. Bohrhaken auf dem Weg nach oben….

Irgendwie schafften wir es bis zum ersten Stand unter dem Schlussaufschwung zu kommen. Dieser Stand war notwendig, da es seinerzeit noch keine 70 Meter-Seile gab. Heute wird locker an diesem wirklich schönen und luftigen Standplatz vorbei geklettert ohne die traumhafte Aussicht zu geniessen. Im Nachstieg mit fast neuen EB (Edouard Boucher, meine ersten profillosen Kletterschuhe) ausgerüstet, durchlebte ich die Höllenangst, dass ich ausrutsche und wie eine menschliche Abrissbirne hinüber in die „Teure Route“ knalle und ganz langsam dem Fels entlang dem Boden entgegen rutsche. Ganz so wie der berühmte Cartoon-Schakal auf der Jagd nach seinem Essen.

Die zweite Seillänge konnte ich nie klettern. Völlig plan- und orientierungslos hing ich im Seil und Peter, Olivier und Roland hatten ihre liebe Mühe, mich aus der Situation zu befreien. Es war grauenhaft. Auch der Einstieg hat es in sich. Eigentlich nicht so schwer, erinnere ich mich jedes Mal an mein schrecklichen Ereignis vor dem 2. Bolt mit einer nicht ganz so lustigen Landung auf dem Boden.  Das hat wirklich weh gemacht, ich kann das so bestätigen.

Es sind diese Informationen zur Route, die mich veranlassten über Jahrzehnte hinweg dieses Stück Fels ebenfalls mit definitivem Liebesentzug und purer Verachtung zu strafen. Es brauchte wieder einmal Jürgen um mich mit einer alten Sache aus längst vergangenen Tagen zu beschäftigen. Er meinte, dass ich „Banana“ sicher klettern könne und ermunterte mich, doch mal die Route anzugehen. Meine Bedingung war, dass ich wieder im Top-Rope einsteigen dürfe, wohl wissend was mich erwarten würde.

Jürgen klettert zügig und ohne irgendwelche Probleme durch die Route und schon nach wenigen Minuten hängt das Top-Rope. Ich ziehe meine besten Schuhe an, bereite mich so optimal wie möglich vor. Ich versuche das in der Route Erlebte beiseite zu schieben. Das gelingt mir gut und so starte ich gut gelaunt und zuversichtlich. Die ersten Meter gehen gut. Und dann kommt sie mit brachialer und nie erwarteter Gewalt: die Erinnerung an den Absturz vor über 30 Jahren! Ich bekomme die Angst nicht weg. Alles zittert, alles ist hektisch, ich kann weder vorwärts noch rückwärts. Nichts geht mehr, ich zittere noch mehr, Fehler reiht sich nahtlos an Fehler, die Kraft schwindet, alles dreht sich und ehe ich mich versehe hänge ich bereits im Seil und stehe Dank der Seildehnung so ziemlich genau dort, wo ich vor vielen Jahren etwas heftiger aufgeschlagen bin. Völlig demotiviert und überfordert mit der Situation stehe ich da. Wie weiter? Mit einer brutalen Wut im Bauch klettere ich wieder hoch zur Stelle, dann der mutige Griff an den Express und weiter über die schwere Stelle hoch zu einer guten Rastposition. Das Herz rast, die Angst ist greifbar, alles zittert, ich bin völlig ausser Kontrolle. Langsam bewege ich mich in der Route weiter und mit jedem Move erinnere ich mich mehr an die schreckliche Angst. Mit ganz viel Hängen und Würgen schaffe ich dann die Route im Top-Rope. Noch beim Herunterlassen sage ich zu mir, dass ich „Banana“ zwar klettern könnte, aber die Angst wird das für immer verunmöglichen. Ich war aber trotzdem ein bisschen stolz auf mich, dass ich mich noch ein letztes Mal durch „Banana“ gequält habe. 

Jürgen in Action

Kurze Zeit später sind wir wieder in der Tüfleten. Wir freuen uns auf einen schönen Klettertag. Jürgen klettert wieder die „Banana“ hoch und hängt beim Ablassen die Express in seine Route ein. Anschliessend stellt sich nur noch die Frage, wie die Express aus „Banana“ wieder herauskommen. Für mich ist der Fall klar: Alle, nur nicht ich – never ever again! Plötzlich realisiere ich, dass das Seil abgezogen ist und die Express noch hängen. Idee: ich könnte ja trotz allem was geschehen ist einen Vorstieg wagen! Wird aus dem „Never again“ ein „vielleicht doch“? Zwei Herzen schlagen in meiner Brust und ich kämpfe hart mit einer Entscheidung. Nach einiger Zeit keimt so der Gedanke, dass ich es doch wagen sollte. Wild entschlossen die Angst in dieser Route definitiv zu besiegen binde mich ins Seil ein und los geht’s. Die ersten Moves gehen gut, alles passt perfekt, „meine ganz private Schlüsselstelle“ kommt und ich fliege im hohen Bogen raus. Wie immer spielt sich das genau gleiche Spiel mit der Angst am genau gleichen Ort ab und blockiert mich komplett. Die Angst ist offenbar nicht zu besiegen, zumindest bekomme ich das nicht hin. Einmal mehr bewahrheitet sich der Satz: Mind over Machine!

Vom Beruf her ist es mein tägliches Brot, einen Workaround für ein bestehendes Problem zu suchen und zu finden. Deshalb greife ich zum offensichtlichen Workaround und gestehe hiermit offiziell, dass ich den 2. Bolt vorgeklippt habe. Beim 2. Go funktioniert alles tadellos und ich erkenne, welche Kletter-Perle Richi seinerzeit geschaffen hat. Herrliche und abwechslungsreiche Moves reihen sich aneinander, der Fels ist perfekt, die Absicherung auch. Die Angst ist weg und lässt ein tolles Kletterabenteuer wahr werden.

2 Stunden später klettere ich fehlerfrei durch Poltergeist.

Ein herrlicher Tag in der Tüfleten geht zur Ende!

P.S.-1: Ich lasse nicht los und werde die Route auch ohne 2. Bolt vorgeklippt klettern. Stay tuned!

P.S.-2: Die Route wurde nach dem Album Banana Republic  von Lucio Dalla und Francesco De Gregori aus dem Jahre 1979 benannt.

Kommentare

Anonym hat gesagt…
Guter Artikel !!! Vorallem im Zeitalter der " 9a, mit 3 promille und verbundenen augen von 14 jährigem Mädchen im 2 ten go geklettert", lg Alex :-)
richi hat gesagt…
Das wahre Glück ist sich nicht vergleichen zu müssen. Superund wie immer auch orginel und amüsant. See you on "Illusion" Gruss Richi
Anonym hat gesagt…
Ein literarisches Meisterwerk, das dem leidgeprüften Langzeit-Tüfletisten aus dem Herzen spricht.
lg, Marc
Unknown hat gesagt…
Heute durfte ich dieses wunderschöne Gebiet zum ersten Mal erkunden und bin als zweite Route in "Banana Republik" gelandet. Der Einstieg ist doch eher speziell und die Stelle zwischen Bolt 1 und 2 liess meine Nerven diesmal noch ziemlich flattern. Zugegebenermassen habe ich die Expressen ebenfalls vorher schon geklippt, was dem Adrenalinschub jedoch keinen Abbruch tat. Morgen versuche ich die Route nochmal zu klettern, dann vielleicht ohne Vorklippen. In jedem Fall Respekt!!
Gruss, vertikarl