von Chris
Im 2007
hoffte ich mich mit der Brechstange durchzusetzen. An einem Punkt im Leben
angelangt, während dem es mir mental nicht so gut ging, dachte ich, ich könnte
mich mit einem tollen Kletterprojekt ablenken und so aus dem Sumpf ziehen… Mein wenig durchdachter Plan sah vor, dass ich
nur genügend Zeit in die Route zu investieren brauche, denn dann würde ich die Kraft aus den Jahren zuvor wieder
wecken und so meinem Klettertraum realisieren - ganz nach dem Motto 'Viel hilft viel' und
'Von Nichts kommt nichts'… In weniger steilen Climbs wie an
der Falkenfluh hatte diese Methode sogar schon funktioniert… für ein
athletisches Körperspannungsmonster wie 'Enfant' aber nicht. So bezahlte
ich bei meinen Versuchen teures Lehrgeld… Meine Investition von Juli bis
September trug keine Früchte und es wurde mir klar, dass ich gescheitert war. Ich musste erneut
aufgeben…
Es hat sich gelohnt. Ich hatte auch buchstäblich das Glück
auf meiner Seite. Ich fand mit diesem Sommer genau den richtigen Zeitpunkt - obwohl ich noch nie in einem Sommer mein Leistungspeak hatte. Mit dem Ausbouldern begann ich im noch kühlen Juni kurz vor der ersten Hitzewelle dieses Sommers und spürte schon, dass sich
viel verändert hatte. Dieses Jahr war ich frei von den Erfahrungen,
die ich die die Jahre zuvor in der Route gemacht hatte. Ein nicht zu
unterschätzender Faktor. So gelang es mir, den Climb frisch und unbelastet
anzugehen. Ich fand neue Lösungen, insbesondere lernte ich den Fingerklemmer an einer anderen Position so zu
halten, dass er nicht mehr schmerzte. Ich war inspiriert, begeistert vom
Klettern. Es war jedoch mein ganz persönliches Vorhaben. Ich erzählte niemanden davon, dass ich wieder am 'Enfant' war... Oft verbrachten Tina und ich unsere Tage am Chuenis allein.
So kam die letzte
Juliwoche mit auf einmal unerwartet kühlen Temperaturen. Und diese konnte ich
nutzen. Ich war bereit, die Power da, mit dem nötigen Glauben an das Gelingen.
Die Route staubtrocken wie selten. Der Durchstieg in Gegenwart von einigen
lieben Kollegen, die mich auch wirklich anfeuerten und mir damit halfen. Es war
dann tatsächlich auch das intensive, herbeigesehnte Erlebnis. Am Limit zu ziehen, die letzten Züge zum Umlenker - wie in einer von der übrigen Welt
abgekapselten Sphäre. Ein Neuland an Erfahrung, dass sich kaum als solches beschreiben
lässt und mir noch ein paar Jahre Stoff zum Verarbeiten bietet.
Nun ist es vorbei… Jahrelang habe ich das 'Enfant' * schwanger ausgetragen…
Drei Mal, dachte ich, stehe es kurz vor der Geburt: 2003, 2004 und 2007…
Den
ersten Geburtstermin sagte ich mir selber ab, als ich anfing Hundertprozent zu
arbeiten. Seinerzeit sah ich mich zwar nach einem sechsmonatigen Training mit
Plänen von Dominik Egloff an einem Punkt, an dem ich mich so stark wie nie
zuvor fühlte. Gleichzeitig aber spürte ich ein Damoklesschwert über meinem Haupt baumeln.
Ich stand kurz vor Beginns eines harten und für mich ungewohnten Arbeitsregimes.
Es war mir klar, dass diese mir die Energie für ein Klettern am Limit abziehen
würde. In der mir noch knapp zur Verfügung stehenden Zeit stellte ich mich deshalb vor
die Wahl, die von mir eingebohrte 'Ravage'-Extension 'Zeichen der Verwüstung'
erstzubegehen oder das 'Enfant' zu knacken… Ersteres erschien mir
erfolgversprechender und ich lag richtig. Gerade noch einen Tag vor Beginn des
unglaublich langen und heissen Sommer 2003 konnte ich die 'Zeichen' setzen…
'Enfant' fiel flach…
Im April 2004 ein nächster Versuch. Die Power
aus dem Vorjahr schien ich irgendwie konserviert zu haben und erreichte gleich drei Mal eine nie zuvor erreichte
Höchstmarke. Ich meinte dem Durchstieg ganz nah zu sein. Doch in Tat und Wahrheit
war ich weit davon entfernt. Denn in diesem Climb rieb ich mich schneller auf,
als mir das lieb war. Insbesondere am sechsten und letzten Bolt, den man im
Durchstieg gar nicht klippt, wartete auf mich ein derart schmerzhafter und
hautfressender Fingerklemmer. So war ich bereits nach wenigen Versuchen zu
Pausen verdammt, um die Haut heilen zu lassen. Schwierig über
eine längere Periode hinweg untätig rumzusitzen und zu warten, einerseits, um die Höchstform zu halten, und andererseits, dauerhaft einen trockenen Climb vorzufinden: 'Enfant' wird nach
wenigen Tropfen Regen schnell patschnass…
Tatsächlich verlor ich in den folgenden
Jahren einiges an Power, respektive widmete mich anderen Kletterzielen, legte
eine lange Bouldersession ein, und so weiter… mir schien klar zu werden, dass es mit einer
für mich so schweren Route nichts mehr werden würde… Oder doch nicht?
Teil von 'Enfant' - der 'Ravage'-Kreuzzug |
Der Entscheid war vernünftig. Ich hatte erst einmal mein Leben zu
ordnen, was zum Glück auch gelang. Anderes wurde wichtig. Aber auch im Klettern selbst
verschoben sich die Ziele erneut. Ich machte neue Erfahrungen. Wurde auch mit
Verletzungen zurückgeworfen. Aber ich rapppelte mich wieder auf. Das alles braucht jedoch seine Zeit. Dahinter aber, im tiefsten Innern nagte es aber stetig, das
'Enfant'… Es war real und hatte einen Teil meines Lebens besetzt. Einfach
aufgeben? Ich wusste, wenn ich es doch noch schaffen wollte – die Lebensuhr
tickt ja schliesslich auch noch – dann hatte ich etwas Grundlegendes in meinem
Kletterstil zu ändern. Wie ich auf diesem Blog schon beschrieben habe, ist mir das zu einem grossen Teil auch gelungen. Letztendlich war es eine Verbindung aus meiner mir eigenen spielerischen, im
reinen Klettern aufgehenden Seite mit einer analytischen Seite, dem gezielten
Training und der Vorbereitung geschuldet, welche ich erst erlernen musste.
Juli 2015 - 19.00 Uhr - Boulderhalle bei 40°C - alleine |
Dass ich zu jener Zeit – auch in der Hitze, als es sich nicht mehr
lohnte, am Fels klettern zu gehen - dennoch fünf Mal die Woche trainierte,
hatte keine Ermüdung zur Folge, sondern half mir die Körperspannung zu halten,
wenn nicht zu verbessern. Oft stand ich allein im Glutofen des B2, wo ich meine selbstentwickelten Powerübungen
praktizierte, während alle anderen sich am Birsköpfle und im Rhein
tummelten. Intuitiv machte ich diesmal offenbar alles richtig.
Ein starker Moment
in einem an Bildern reichen Leben als Kletterer…
* =
Mit 'Enfant de Bohême' handelt es
sich um eine 8c am Chuenisberg. 1986 von Wenzel Vodicka eingebohrt, teilt sie die
ersten drei Bolts mit dem Überklassiker 'Ravage' und zieht dann weiter nach
rechts. Die erste Begehung mit der ursprünglichen Bewertung von 8c+ gelang 1996
Fred Nicole. Bis heute sind ungefähr 15 Begehungen verzeichnet. 2015 wurde sie
von mir mit Klebebolts saniert. Der Routenname – von Fred Nicole initiiert –
ist ein Wortspiel mit der berühmten Arie L'amour est un oiseau rebelle aus der Oper Carmen von G. Bizet. Die Textpassage L'amour
est enfant de bohème
stand Pate für das Wortspiel Enfant de Bohême
– Kind aus Böhmen – und bezieht sich auf den oben genannten Tschechen Wenzel,
der – wer ihn in seiner Aufenthaltszeit in der Schweiz gekannt hat – einfach nur
ein grosses Kind war…
Kommentare
Markus
aber komm mir nie wieder von wegen du hast keinen "strom" ;) ohne "strom" klettert man keine (super schweren) routen am chuenis!!!
keep rocking, martin