"Letzter Tango" an der Grimsel - Teil II

... da sitze ich so gemütlich und entspannt mit Myriam unter dem grossen Überhang von Soyhières und wir reden über viele Dinge. Natürlich sind das Klettern und das Bergsteigen das bestimmende Thema. Wir sind auf der Rückfahrt von einer schönen Tour im Jura (Arête du Faucon) und jedes Mal, wenn ich bei Soyhières vorbeifahre, sage ich "da oben hat es eine der besten 6b, die ich kenne". Myriam kennt das Klettergebiet Soyhières nicht und so schlage ich vor, dem Gebiet einen kurzen Besuch abzustatten. Während wir so zusammensitzen, das schöne Wetter geniessen und miteinander über geglückte und nicht ganz geglückte Begehungen reden, sage ich so beiläufig, dass ich nochmals gerne "Letzter Tango" an der Grimsel klettern möchte. Beim ersten Besuch der Route hatte ich nach einer nassen Seillänge die Nerven nicht mehr, die Route fertig zu klettern und wir seilten ab. Ich kann gut mit diesem Manko leben, doch irgendwie kam immer wieder der Gedanke, nochmals in diese Route einzusteigen, weil sie wirklich schön und schön einfach ist. Myriam, wie sie halt so ist, sagt: "Markus, diesen "Letzten Tango" klettern wir zusammen". Natürlich war ich hocherfreut über dieses Angebot und ich frage noch scheu nach, ob sie denn schon einmal eine "Grimsel-Plattenschliffi" geklettert sei. Ihre Aussprache des "Nein" gefällt mir ungemein und ich ahne, dass da eine grandiose Sache auf mich zukommen wird. 

Myriam verbringt liebend gerne ihre freie Zeit auf den 4000er dieser Schweiz und wird am 10. November 2023 in Frenkendorf ihren ersten Vortrag mit dem Titel "48 Viertausender hat die Schweiz - meine erste Runde" halten. Wer meinen Blogeintrag vom ersten Gang zum "Letzten Tango" gelesen hat, weiss, dass Sommer vielleicht nur die zweitbeste Wahl für den Gang über Granitplatten ist. Einerseits scheint dir Sonne unbarmherzig heiss und auf der anderen Seite braust auch der eine oder andere Motorrad-Fahrer über den Pass. Auch hat es sehr viele andere Kletterer, kurz, im Sommer ist die Grimsel ein Tummelplatz von ganz vielen Menschen.

Und dann trifft sie ein, die Anfrage, ob wir am 9. September den "Letzten Tango" klettern wollen. Natürlich bin ich hocherfreut und kläre sofort die Wetterlage. Die Wettervorhersage für den 9. September ist einmalig. Warm, die Sonne wird den ganzen Tag scheinen, es wird ein Traumtag werden. Es wird also exakt ein Tag werden, an dem der Kletterer eben nicht seine Ruhe in der Route finden wird. Ich weiss, dass Myriam sich auf ihrer zweite Runde der "alle 48 4000er der Schweiz" befindet. Wir telefonieren kurz und es passt auch für Myriam, dass sie bei besten Bedingungen wieder einen 4000er ihrer Liste hinzufügen kann. Wir verabreden uns auf den 16. September 2023.

Grimsel ist südlich von Guttannen

Spielt das Wetter mit? Eine Woche zuvor herrlichstes Wetter und jetzt das. Trotz hochmoderner Apparaturen und KI und was sonst noch alles hält sich das Wetter in der Regel eben doch nicht an die Angaben der Wetter-App. Am Freitagabend schaue ich zum gefühlt zehntausendsten Mal auf die Wettervorhersage und die sieht einfach nicht gut aus. Eine kleine Regenfront - oder ist es jetzt doch eine grosse - wird exakt in dem Moment Präsenz zeigen, an dem Myriam und ich in der Mitte der Route sind. Jedoch wird das Regenrisiko mit 30 % angegeben und somit ist klar: wir klettern den "Letzten Tango" zusammen. 

Wir verabreden uns um 9 Uhr an der Staumauer vom Räterichsbodensee. Es dauert von dort aus ca. 30 Minuten bis zum Einstieg. Da ich schon einmal am Einstieg war, sage ich: "Schau, dort oben ist der Einstieg". 10 Minuten später wissen wir beide, dass das nicht der Einstieg ist und wir auf dem in der Zwischenzeit sehr bequemen Weg hätten bleiben sollen. Ja, so lerne auch ich noch jeden Tag Neues. 

Da schlägt jedes Motorrad-Fahrerherz schneller ...

Wir vereinbaren, dass Myriam mit der Route beginnt, auch vor dem Hintergrund, dass ich das letzte Mal die erste Seillänge im Vorstieg geklettert bin. So habe ich das Glück, nun auch die Seillängen vorzusteigen, welche ich bis jetzt noch nicht im Vorstieg geklettert bin. Das Wetter ist etwas garstig, doch es hat weder Motorrad-Fahrer noch andere Kletterer in der Gegend. Wir sind allein im "Letzten Tango", exakt das, was wir uns gewünscht haben. Wir rüsten uns und noch bevor ich erfasst habe, welches Glück wir haben, klettert Myriam los. Und das geht "zack zack". Da gibt es kein Zögern, ich gebe das Seil kontinuierlich aus und schon bald höre ich "Stand". Ich klettere die erste Seillänge nach und es läuft auch mir perfekt. Der Trick mit den etwas zu grossen Kletterschuhen, dafür mit dicken Socken in den Schuhen, funktioniert einwandfrei. Die Füsse, mein grosses Problem in den letzten Jahren, schmerzen nicht und das sollte bis zum Ende der Tour so bleiben. So geht es Seillänge um Seillänge weiter, herrliche Plattenkletterei, bestens abgesichert, allein in der Tour und die Kletter-Geschwindigkeit ist atemberaubend. Dort wo ich auf allen Vieren hochsteige, läuft Myriam einfach hoch. Es gibt Seillängen, da kann ich das Seil nicht schnell genug einziehen. Fantastisch!

Myriam als Selfie-Profi, ich übe noch etwas...

In meinem Hinterkopf ist immer "dort oben ist die Seillänge, die mir alles abverlangt hat". Sie kommt und kommt nicht und dann ist doch plötzlich da. Aber was ist denn das? Kein Wasser? Myriam klettert diese Seillänge ohne jede Schwierigkeit. Nun bin ich wieder dran, es ist die Seillänge zur Schlüsselstelle. Ich klettere auch diese Seillänge problemlos, geniesse jede Kletterbewegung und binde mich am Stand fest. Sie kam doch, die Regenfront. So stehe ich am Stand, es regnet leicht und es windet stark. Es wird sehr schnell sehr kühl. Doch es gibt kein Zurück. Myriam kommt nach, übernimmt das Material und klettert gleich weiter. Eine etwas unangenehme Stelle gleich nach dem Stand lässt den Blutdruck etwas höher steigen. Doch auch diese Stelle meistert Myriam problemlos und schon bald höre ich das vertraute "Stand". Ich mache mich bereit und bin froh, diesen wirklich kalten Standplatz verlassen zu können. Die Schlüsselstelle zeigt sich in Form 2 fürchterlicher Rissspuren und ich bin froh, dass Patrik und Andreas 2 Bohrhaken für die Entschärfung gesetzt haben. 15 von 16 Seillängen sind geschafft.

Am Ausstiegspunkt von "Letzter Tango"

Es ist mir ein ganz grosses Anliegen, dass Myriam als Erste aus der Route aussteigt und so lasse ich sie gerne vor, um Seillänge 16 von 16 zu klettern. Bald höre ich wieder "Stand" und schliesse zu Myriam auf. Wir haben es geschafft. Mein Traum ist in Erfüllung gegangen und noch viel besser ist, dass Myriam eine unbeschreiblich grosse Freude an dieser Tour hat. Nach etwas mehr als 3 1/2 Stunden inklusive Mittagsrast sind wir oben angekommen. Der Abstieg ist für Myriam kein Problem, für mich allerdings schon. Nein, die Füsse sind es nicht, es ist das rechte Knie. Wir verabschieden uns. Myriam fährt nach Hause ins Wallis und ich fahre gemütlich zurück nach Oberwil.

Aussicht auf den Gelmersee

An dieser Stelle möchte ich mich bei dir, Myriam, von Herzen für dieses tolle Abenteuer bedanken. Und es gilt - nächstes Jahr "Ameisenrennen". Die Vorfreude darauf ist riesengross.

 

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